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VfL 2019

"Den Verteidiger Schreie ich an, Privat bin ich aber relativ ruhig"Wie das eigene Telefon die VfL-Profis besser macht

"Den Verteidiger Schreie ich an, Privat bin ich aber relativ ruhig"Wie das eigene Telefon die VfL-Profis besser macht

Koen Casteels: Zahlen der Hinrunde

Herr Casteels, die wenigsten Profi -Keeper nahmen diese Position auch schon in der Jugend ein......ich gehöre auch dazu, habe anfangs ebenfalls auf dem Feld gestanden: links hinten. Da habe ich gespielt, bis ich neun Jahre alt war.In welchem Alter haben Sie angefangen, Fußball zu spielen?In Belgien kann man sich normalerweise erst mit fünf Jahren bei einem Verein anmelden, aber ein Freund von mir war im Januar geboren, ich erst im Juni. Und der hat mich stets gepusht, ich bin immer mit ihm mitgegangen. Er hat dann im Verein gefragt, ob ich als sein Freund nicht auch mitmachen könne – also haben mich meine Eltern mit viereinhalb angemeldet. Allerdings ohne Spiele zu machen, das ging wie gesagt erst mit fünf.

Seine grosse Stärke ist die Konstanz: Koen Casteels hat sich zu einem wichtigen Faktor beim VfL Wolfsburg entwickelt. Im Interview mit AZ/WAZ-Sportredakteur Tim Lüddecke spricht der Torwart über seine Karriere, die Besonderheiten seines Spiels und seine Perspektive.

Wann kamen Sie also auf die Idee, sich ins Tor zu stellen?
Ich habe mit neun dann zusätzlich auch angefangen, Torwarttraining zu machen. Das hat mir gefallen! Ich habe zwei Jahre lang eine Halbzeit auf dem Feld, eine im Tor gespielt.


Wie bitte?
Ich habe mich mit einem Kumpel abgewechselt – und wurde dann von KRC Genk gescoutet. Mit elf Jahren bin ich gewechselt.

Als im Feld einsetzbarer Torwart?
Die wollten mich schon als Torhüter holen, waren aber auch daran interessiert, wie ich mich als Spieler schlage. Und ich habe in Genk sogar einige Spiele in der ersten Liga im Jugendfußball auf dem Feld gespielt mit 14, 15. Nach wie vor immer auf der linken Seite, wegen meines starken linken Fußes.

Interessanter Werdegang, finden Sie nicht?
Im Profifußball habe ich das so auch noch nicht gehört. (lacht) Ab der U15 habe ich das dann auch gelassen und mich entschieden, Torwart zu werden, weil mir das mehr Spaß gemacht hat.


Mehr Spaß daran, Tore zu verhindern?
Ja, dafür macht man das. Bälle zu fangen, die Leute schon drin gesehen haben. Aber auch mitzuspielen und die Bälle von hinten zu verteilen. Und ich finde es gar nicht so schlecht, selbst auf dem Feld gestanden zu haben. Man entwickelt seine fußballerischen Fähigkeiten weiter, anstatt mit neun Jahren nur noch im Tor zu stehen und die Bälle nach links und rechts zu spielen – man braucht im Tor auch eine gewisse Technik. Und: Wenn ich heute einen Spieler anspiele, weiß ich, in welcher Situation er sich befindet – ob in Bedrängnis oder nicht.

Tore selbst erzielen wollten Sie nie?
Doch, eigentlich schon. Aber ich wusste, dass ich kein Stürmer werde. Das konnte ich einfach nicht, habe ich früh festgestellt. Aber ich habe immer die Freistöße und die Ecken geschossen – und da sind auch viele Tore dabei gewesen, gerade aus der Distanz. Ich war damals ja schon früh relativ groß und hatte immer den Vorsprung mehr Kraft zu haben, weiter und höher schießen zu können. Wenn dann ein kleiner Torwart im Tor war, war fast jeder Freistoß drin (lacht).

Haben Sie auch als Torwart Tore erzielt?
Klar! Wenn ein Rückpass kam, habe ich mir den Ball vorgelegt und aufs Tor geschossen – und manchmal ist er reingegangen.


War es abzusehen, dass sie mal 1,97 Meter groß werden?

Als ich nach Genk gegangen bin, war ich schon sehr groß im Vergleich zu meinen Mitspielern im gleichen Alter. Ich habe damals auch meine Hand scannen lassen, um zu sehen, wie ich mich ungefähr entwickeln würde: zwischen 1,90 und 1,97 Meter. Dann war es klar, dass das die ideale Größe für einen Torwart ist. Und Basketball hat mich sowieso nie interessiert.

Nur Michael Esser von Hannover 96 ist in der Bundesliga größer als Sie. Wie wichtig ist Körpergröße als Torwart?
Wenn man 1,70 oder 1,75 Meter groß ist, kommt man nicht so locker in die Ecke, da fehlen einfach 15 oder 20 Zentimeter – und das macht am Ende natürlich viel aus.

„Wenn man 1,70 oder 1,75 Meter gross ist, kommt man nicht so locker in die Ecke“

Zu Ihren Hoffenheimer Zeiten haben Sie sich zudem vier Kilo Muskeln drauf trainiert.
Wenn ich darauf zurückblicke, war das etwas, das ich gebraucht habe. Ich war damals zwei Jahre fast jeden Tag im Kraftraum – und davon profitiere ich jetzt immer noch. In Belgien hat man das nicht gebraucht, da ging es viel um Technik und Talent. Aber wenn du in Deutschland, in der Bundesliga so bist (spreizt seinen kleinen Finger ab), wirst du in jedem Zweikampf weggeschubst – und spielst dann keine Rolle.


War Tim Wiese damals nicht auch in Hoffenheim?
Er kam zwei Jahre nach mir. Am Anfang war Tim gar nicht so oft im Kraftraum. Doch dann hat er irgendwann angefangen und da hat man schon gemerkt, dass er sehr schnell Muskelmasse zulegt.

Zurück zum Fußball: Wer ist für Sie der beste Torwart der Welt?
Ich finde das immer schwierig zu bewerten, denn für mich zeigt sich so etwas eher im Training als im Spiel – dann kann ich erst sehen, wie gut jemand wirklich ist. Wenn man im Spiel mal eine sehr gute Aktion hat, kann das immer auch ein Reflex sein. Dazu kann auch ein Regionalliga-Keeper fähig sein. Für mich geht es da um viel mehr.

Koen Casteels (r.) ist im belgischen Bohnheiden (rund 15.000 Einwohner) geboren, aufgewachsen ist er in Betekom. „Das ist noch kleiner“, lacht er auf. Mit elf Jahren ging er zum KRC Genk, wo er schon damals auf Thibaut Courtois (l.) traf - und nicht an ihm vorbei kam. Er machte kein Profispiel für Genk.
Mit 19 wechselte er nach Hoffenheim, kam zunächst eine Saison für die U23 in der Regionalliga Südwest zum Einsatz. In der Saison darauf wurde er hinter Tim Wiese die Nummer Zwei, anschliessend Stammtorwart. Dann kam die schwere Verletzung.

Das müssen Sie erklären.
Viele schöne Aktionen werden mit der Note eins bewertet, aber wenn ein Torwart den Ball vorher im Sechzehner klärt oder eine Flanke abfängt, weil er mitdenkt und eine Eins-gegen-Eins-Situation erst gar nicht zustande kommen lässt – dann bewundere ich das noch mehr. Klar ist das weniger spektakulär, aber es ist schwieriger als angeschossen zu werden oder einen Ball mit einem Re¬flex überragend zu halten.


Das klingt nach etwas anderen Bewertungsmaßstäben, die Sie da anlegen.

Viele Leute bemerken diese Aktionen gar nicht. Wenn etwa eine Flanke hinter die hoch stehende Abwehr geschlagen wird und der Torwart dann rausgeht, den Ball zwischen Elfer und Sechzehner fängt, ist das für mich eine der besten Aktionen, die es im Spiel gibt. Das sieht zwar einfach aus, aber wenn der Torwart auf der Linie kleben bleibt, schießt der Stürmer am zweiten Pfosten den Ball rein.

Von wem bedeutet Ihnen ein Lob am meisten?
Von meinem Torwarttrainer und vom Trainer. Von den Personen, die Ahnung haben vom Torwartspiel.

Womöglich auch Jörg Schmadtke…
Ja, genau (lacht). Auch er weiß, wie es ist, ein Tor in der Entstehung zu verhindern anstatt eine Parade zu machen. Was diese Leute zu sagen haben, interessiert mich schon mehr.

„In der Torwartausbildung in Genk ging es damals zu 50 Prozent um das Spiel mit dem Fuss. Ich denke, in Deutschland war das früher etwas anders“

Wieviel Schmadtke-Lob haben Sie bereits bekommen?
Ich glaube, er beschäftigt sich eher mit vielen anderen Sachen. Aber er ist zufrieden mit mir, das hat er schon mal gesagt – und das tut mir gut.

Wofür würden Sie sich selbst loben?
Ich weiß, dass ich gut mit beiden Füßen und im Aufbauspiel bin. Aber das ist auch abhängig davon, wie sich deine Vorderleute zeigen. Wenn wir das gut machen, denke ich, dass ich der Mannschaft da etwas geben kann. In der Torwartausbildung in Genk ging es damals zu 50 Prozent um das Spiel mit dem Fuß. Ich denke, in Deutschland war das früher etwas anders.

Sie spielen also auf Schmadtke an…
Nein, das habe ich nicht gesagt. (lacht) Ich meine, dass man nicht erst damit anfangen kann, die Füße zu trainieren, wenn man 25, 26 ist.

Nach seinem Wechsel über Bremen nach Wolfsburg gab er im Supercup vor der Saison 2015/16 gegen den FC Bayern direkt sein Debüt, weil Diego Benaglio verletzt fehlte - beim 5:4 nach Elfmeterschiessen gewann er seinen bislang einzigen Titel. Einen Strafstoss konnte er mit dem Fuss halten. In seiner ersten Saison war er die Nummer Zwei, 2016/17 kam er auf mehr Einsätze als Benaglio - der den Klub dann verliess.

Für welche Liga würde es für Sie als Feldspieler reichen?
Das ist ja jetzt echt lange her, dass ich als Feldspieler auf dem Platz gestanden habe. Ich glaube nicht, dass ich damit heute mein Geld verdienen könnte.

Was bedeutet es Ihnen, dass es als Torwart dazu gereicht hat?
Fußball ist ein sehr schönes Hobby – und ich bin sehr zufrieden, dass es zu meinem Beruf geworden ist, aber ich bleibe da relativ ruhig. Ich kann mich noch erinnern, als ich mit meinem Vater im Abschlussgespräch in der Akademie in Genk saß – und sie mir gesagt haben, dass ich bleiben darf. Da hat er mich gefragt: „Willst du überhaupt bleiben?“ Die Verantwortlichen haben natürlich erst mal Augen gemacht. Aber es gibt eben auch andere Sachen als Fußball. Genk war für mich relativ weit weg von zu Hause und ich war jeden Tag unterwegs – das habe ich nur gemacht, weil es mir Spaß gemacht hat.

Hatten Ihre Jugendtrainer eigentlich auch mal was an Ihnen auszusetzen?
Es war oft so, dass sie mir mit 17, 18, 19 gesagt haben, dass ich gut bin, aber schon noch ein bisschen lauter sein kann. Und klar muss man etwas ausstrahlen im Tor – aber ich schreie nicht gern rum, nur um rumzuschreien. Es muss Sinn machen.

„Ich kann mir vorstellen, hier noch fünf Jahre zu bleiben - wenn es sportlich gut läuft“

Zum Beispiel?
Wenn ein Verteidiger seinen Mann laufen lässt, schreie ich ihn auch an, weil es dann um die Punkte geht. Privat bin ich aber relativ ruhig.

Wann lief es sportlich mal nicht so bei Ihnen?
Als ich in Hoffenheim war, habe ich mir am 6. April 2014 einen Schienbeinbruch zugezogen, war fünf, sechs Monate raus. Vorher war ich die Nummer 1 gewesen, danach nur noch die Nummer 4. Der Klub hatte Oliver Baumann geholt. Und als ich wieder fit war, saß ich nicht mal mehr auf der Bank – das war ein Zeichen für mich, zu gehen.

Der VfL verpflichtete Sie daraufhin im Winter 2015, verlieh Sie aber direkt weiter an Werder Bremen.
Damals war Wolfsburg Zweiter zur Winterpause und Klaus Allofs hat gesagt, er sei sehr interessiert, man wolle aber, weil die Saison so gut läuft , nichts ändern. Für mich war nur klar, dass ich nicht noch sechs Monate vierter Keeper sein konnte. Deshalb war die Lösung mit Werder perfekt für mich, um die Sicherheit zurückzuerlangen und danach hierher zu wechseln.

Bei der belgischen Nationalmannschaft müssen Sie sich ebenfalls erst mal hinten anstellen, warten immer noch auf Ihren ersten Einsatz.
Da bleibe ich weiter dran. Mit Thiibaut Courtois spielt dort gerade der Torhüter von Real Madrid – dass es da sehr schwer wird, das weiß ich auch. Ich hoffe, dass der Trainer mir irgendwann mal Spielminuten gibt. Aber ich fahre immer mit guter Laune nach Belgien, weil es Spaß macht, mit so einer talentierten Truppe zu trainieren.

Wissen Sie, wann Sie Ihren letzten groben Torwartfehler begangen haben?
(überlegt lange) Nein, keine Ahnung.

...was dazu führt, dass auch Ihr öffentliches Standing immer weiter wächst. Haben Sie das Gefühl auch?
Ja. Aber das hat auch mit der Anzahl der Spiele zu tun. Wenn man da konstant ist, kommt das automatisch. Manche sehen das nach fünf Spielen, manche brauchen 40 Spiele, bis sie einen richtig einschätzen.

Im Bespräch: Koen Casteels und Tim Lüddecke.

Auch die europäischen Topklubs registrieren Ihre Leistungen. Muss der VfL einen Abgang befürchten?
Ich kann mir vorstellen, hier noch fünf Jahre zu bleiben – wenn es sportlich gut läuft , wir so weitermachen und irgendwann mal Richtung internationale Plätze gucken können.

Wie ungeduldig sind Sie bei diesem „irgendwann“?
Man sollte mal überlegen, woher wir kommen – dann muss man da nicht groß drüber sprechen. Nach dem elften Spieltag haben alle gesagt, Wolfsburg rutscht wieder da unten rein, das wird wieder nichts in dieser Saison. Jetzt spricht jeder davon, was drin ist, die Europa League oder die Champions League.

Sie haben also keine Eile?
Ich muss sehen und merken, dass der Verein wieder langsam an Stabilität gewinnt, dass es langfristig in die richtige Richtung geht – und so lange ich das Gefühl habe, kann ich mir das gut vorstellen.

Käme es für Sie in Frage, als Nummer 2 zu wechseln?
Das kann man vorab nicht sagen, da spielt viel mehr mit rein. Das Wichtigste ist, sich dabei gut zu fühlen. Ichbin sehr zufrieden im Moment in Wolfsburg – und sehr zufrieden damit, wie die Hinrunde gelaufen ist.

Koen Casteels: Zahlen der Hinrunde

Er spielte in der Hinrunde: Fünf mal zu Null, Ligaweit haben das nur Leipzigs Peter Gulacsi, Gladbachs Yann Sommer und Bayerns Manuel Neuer häufiger geschafft.

Als einer von fünf Keepern parierte der Belgier in der Hinrunde einen Elfmeter - am vierten Spieltag gegen Freiburgs Nils Petersen.

Er kassierte im Schnitt nur alle 69 Minuten ein Gegentor, ein besserer Wert als in den beiden Spielzeiten zuvor (2017/18: alle 64 Minuten, 2016/17: alle 60 Minuten).

Casteels und seine Vorderleute liessen in der Hinrunde kein Gegentor nach einer Ecke zu, das schaffte sonst nur Borussia Mönchengladbach.

Casteels wehrte am achten Spieltag gegen die Bayern acht Torschüsse ab, nur vier mal zeigte in der Hinrunde ein Keeper mehr Paraden in einer Partie.

Mit einem Schnitt von 2,75 ist er erneut Notenbester VfL-Profi der Hinrunde.