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Samtgemeinde Boldecker Land

Ein bisschen mehr geht immer

Ein bisschen mehr geht immer

Mitunter macht nicht nur Übertreibung anschaulich, wie das Sprichwort sagt, sondern auch die Realität. Um zu erklären, wie viel ein Biathlet, also ein Kombinationssportler der Disziplinen Skilanglauf und Schießen, jährlich trainieren müsse, sagt Olympionik Steffen Lehmker nur knapp: „Jährlich eine Strecke vom Nordkap bis Sizilien zurücklegen.“ Das sind nachgemessen rund 5500 Kilometer. Für einen Skilangläufer aus dem Boldecker Land auf Medaillenkurs bedeutet das: ein Drittel dieser Strecke durch Europa joggen, ein Drittel auf dem Ski-Roller und ein Drittel im Schnee. So machte sich Steffen Lehmker fit für die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang, und so erkämpfte er in der Mixed-Langlauf-Staffel eine Bronzemedaille für Deutschland.

Paralympics-Sieger Steffen Lehmker über seinen Weg zum Erfolg

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Bei den Paralympics ist Steffen Lehmker ein Shootingstar – er fing erst mit Mitte zwanzig an, für die olympischen Wettkämpfe zu trainieren. Sein Erfolg in Pyeongchang spornte ihn an, sich täglich fit zu machen für olympisches Gold 2022 in China. Foto: Steffen Lehmker

Doch der 29-jährige ist kein Profisportler. Bis er für die 14-tägige Olympiapause ins Flugzeug nach Südkorea stieg, unterrichtete Steffen Lehmker nach seinem Ersten Staatsexamen an der Berufsbildenden Schule in Gifhorn in den Fächern Wirtschaft und Sport. Mehr als 15 Stunden Training pro Woche waren nicht drin. Und noch ein Handicap verhinderte bislang üppiges Sponsoring für seinen Leistungssport: Er trat bei den Paralympics in Südkorea an.

MIT DEM WINTERSPORT-GEN AUSGESTATTET

Eine Plexuslähmung im rechten Arm durch Komplikationen bei seiner Geburt schränkte Steffen Lehmker von Kindes- beinen an ein, hinderte ihn aber an nichts, was er sich vornahm. Er spielte Tischtennis und Fußball, lief mit 16 Jahren schon Halbmarathon und als 18-Jähriger gemeinsam mit seinem Vater beim Hansemarathon die 42,2 Kilometer lange Distanz. Seine große Liebe neben dem Sport war die Musik. Mit dem Drummer Chad Smith als Vorbild trommelte er schon während der Schulzeit in einer Jazzrock-Formation. Die Leidenschaft aber, die sein Leben verändern sollte, scheint in Steffen Lehmkers DNA zu stecken. Seine Großmutter väterlicherseits war Norwegerin und sein Vater wuchs in Norwegen auf. Kein Wunder, dass er als fünfjähriger Knirps schon zum ersten Mal auf den Brettern stand, die seine Welt bedeuten sollten.

Jährlich eine Strecke vom Nordkap bis Sizilien zurücklegen. Das sind nachgemessen rund 5500 Kilometer.

DIE SPORTLICHE WELTSPITZE ALS INITIATOR

Doch eine Karriere in einer der Wintersportdisziplinen zeichnete sich über viele Jahre noch nicht ab. Nach dem Abitur studierte Steffen Lehmker an der Göttinger Uni die Fächer Wirtschaft und Sport fürs Lehramt und heiratete seine Freundin Janice aus Osloß. Erst mit Mitte zwanzig sollte sich sein Leben durch die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschiändern. „Ich war fasziniert von den Leistungen der Sportler, ganz besonders natürlich von denen, die an den Paralympics teilnahmen. Mir war klar: Das will ich und das kann ich auch schaffen. Ich informierte mich über alles zum Thema des Biathlon und die Teilnahmebedingungen, bewarb mich und wurde im Sommer 2014 zu einem Kennlerntreffen eingeladen. Bei einem weiteren Termin folgte die Einstufung der Behinderung. Mit der Klassifizierung wurde festgestellt, gegen wen ich bei internationalen Wettkämpfen – vom Deutschen Weltcup im Behindertensport bis hin zu Olympia – antreten kann. Das sind weltweit nicht mehr als 30 bis 40 Sportler mit dem gleichen Behinderungsgrad“, betont Steffen Lehmker.

Dass er mit 29 Jahren und nach weniger als vier Jahren Vorbereitungszeit mit einer Bronzemedaille aus Pyeongchang zurückkam, war eine große Überraschung und eine außergewöhnliche Leistung. Selbstverständlich hat ihn dieser Erfolg in Südkorea motiviert, sich bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking noch zu steigern. „Ein Testlauf für mich wird der Biathlon Weltcup Anfang 2019 im kanadischen Prince George sein. Dort – wie dann auch in Peking – trete ich in der neuen Disziplin Langlauf-Sprint an. Dafür trainiere ich jetzt mit Hochdruck“, verrät Steffen Lehmker.

UNTERWEGS ALS VORBILD

Mit dem gestiegenen Medieninteresse an den großen Wettkämpfen im Behindertensport wenden sich verstärkt Verbände und Organisationen an die Sportler oder an ihre Vereine mit dem Ziel der Kooperation, oft verbunden mit öffentlichen Auftritten in Form von Referaten oder Podiumsdiskussionen. „Für mich ist mein Auftritt dann gelungen, wenn beim Publikum ankommt: Jeder kann sich sportlich betätigen – ob mit oder ohne Behinderung. Und ob Leistungs- oder Hobbysportler, sportliche Erfolge sind ein tolles Gefühl für Körper und Seele“, erklärt Steffen Lehmker sein Engagement.

Wie er seine Mitte nicht nur durch den Sport, sondern auch durch gesunde Ernährung gefunden hat, teilt er in seinen beiden selbst verfassten Büchern über Rohkost- und Smoothie-Rezepte mit. „Mit diesen Büchern will ich keine ultimativen Ernährungsweisheiten verbreiten, sondern weitergeben, wie ich mich gesund und fit halte“, erklärt der Biathlet. Sich nicht nur optimal ernähren, auch bis an die persönlichen Grenzen trainieren muss Steffen Lehmker, um beim Weltcup in Kanada sein Bestes und noch ein bisschen mehr zu geben – also bis dahin noch einmal durch halb Europa laufen. (jv)

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Ein Traum ging in Erfüllung: Bronze in der Mixed-Langlauf-Staffel bei den Paralympics in Südkorea. Foto: Steffen Lehmker
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Schneevergnügen mit Ehefrau Janice. Foto: Steffen Lehmker