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City Magazin Wolfsburg - Herbst 2019

„Für Veränderungen braucht es Mut“

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Liebt Teamwork: Christiane Schuster.

Christiane Schuster ist Chefin und die gute Seele des Hotels und Restaurants Brackstedter Mühle. Die studierte Betriebswirtin will den gastronomischen Betrieb, der seit mehr als 80 Jahren im Besitz der Familie ist, in eine erfolgreiche Zukunft führen. Im Gespräch mit dem City Magazin Wolfsburg gewährt die Unternehmerin Einblick in ihre Pläne für die Brackstedter Mühle. Christiane Schuster spricht offen an, mit welchen Entwicklungen die Gastronomie heute besonders zu kämpfen hat und wie sie darauf reagieren kann.Frau Schuster, die Brackstedter Mühle wirbt damit, dass die Gäste hier ein Stück heile Welt finden. Gehen die Veränderungen in der Welt spurlos an der Brackstedter Mühle vorbei?Christiane Schuster: Nein. Wir stehen gerade am Anfang eines Veränderungsprozesses. Denn unser Plan ist, regionaler und nachhaltiger zu werden. Das wird sich an der einen Stelle schnell umsetzen lassen und an der anderen weniger schnell. Wir haben jetzt beispielsweise einen Landwirt gefunden, der in Niedersachsen Quinoa herstellt. Auch die Säfte beziehen wir zukünftig bei einem regionalen Anbieter. Unser Wild kommt teilweise von hiesigen Jägern, Erdbeeren kommen vom Feld nebenan und Kartoffeln aus der Heide. Wir werden den Stab regionaler Lieferanten aber noch ausbauen. Wir sind gerade mit dem Küchen- und Serviceteam dabei, uns weitere regionale Lieferanten anzugucken. Unser Ziel ist, dass die Zutaten und Produkte kurze Wege gehen. Das stärkt die regionale Wirtschaft und spart Zwischenhändler. Okay, Nachhaltigkeit ist gerade ein ganz großes Thema und ich will hier gar nicht der Öko-Apostel von Wolfsburg werden, aber die Brackstedter Mühle war früher mal ein Bauernhof und daran könnten wir vielleicht anknüpfen.  

Im Interview: Christiane Schuster

Ganz wichtig ist mir, unsere Gäste auf dem Weg der Veränderung mitzunehmen. Wenn wir den einen oder anderen dabei verlieren, tut uns das sicherlich sehr leid. Aber Veränderungen bedeuten immer auch, dass es Menschen gibt, die den eingeschlagenen Weg nicht mitgehen. Heute ist es halt so, dass ein enttäuschter Gast eine bitterböse Bewertung ins Internet stellt. Aber andererseits: Solange das Restaurant gut besucht ist, muss ich ja etwas richtig machen und vielleicht traut sich mancher doch mal, was Neues auszuprobieren.
  

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Namensgeber: das Mühlrad.

Stichwort ehemaliger Bauernhof: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, noch weiter zu gehen und tatsächlich wieder selbst Nahrungsmittel zu produzieren?

Christiane Schuster: Tatsächlich haben wir einen ersten Schritt in diese Richtung getan. Weil ich einfach schön finde, wenn die Produkte von hier kommen und wenn ich sehen kann, wie sie entstehen, haben wir seit einem Jahr Bienenvölker hier stehen. Die Bienen werden von einer Imkerin aus Jembke betreut. Wir haben schon den ersten eigenen Honig geerntet. Die Bienchen waren richtig fleißig. Die drei Völker haben 24 Kilo Honig gebracht. Und wer weiß, was uns noch einfällt.

Donnerwetter! Was haben Sie mit dem Honig vor?

Christiane Schuster: Die Küche bekommt einen großen Eimer für den eigenen Bedarf. Beispielsweise gibt es ja gratinierten Ziegenkäse mit Honig, oder er kommt ins Salatdressing. Natürlich werden wir ihn im Glas auf dem Frühstücksbüfett haben und wir werden ihn auch an der Rezeption verkaufen. Was glauben Sie: Das macht Spaß!


„Unser gemeinsames Ziel ist ja, unsere Gäste glücklich zu machen.“

Christiane Schuster

Weil wir über Trends gesprochen haben: Ich habe gesehen, dass Sie auf Instagram posten und auch sonst im Internet ganz gut unterwegs sind. Fluch oder Segen?

Christiane Schuster: Die Kommunikation über das Internet hat sicher Nachteile. Aber ich glaube, dass die Vorteile deutlich überwiegen. Deshalb muss ich mich damit anfreunden. Wir richten jetzt schön auf grünen, türkisfarbenen und schwarzen Tellern an und ich knalle die Fotos ins Internet. Die gehen bei Instagram ab wie ne Rakete. (lacht) Also: ich bin in diesen sozialen Netzwerken dabei, weil die Welt es will. Auch eine Neuerung in der Brackstedter Mühle: Weil viele Gäste heute hübsche bunte Bilder posten wollen, bringen wir fotogen angerichtete Teller auf den Tisch. Und in der Hotelhalle stehen seit einer Weile pinkfarbene statt beige Plüschsofas, sehr beliebt für Familienfotos.
  

Hat sich durch das Internet für die Hotellerie und Gastronomie noch mehr verändert?

Christiane Schuster: Ja, gerade in unserer Branche hat sich die Struktur völlig verändert. Früher hat man langfristig Hotelzimmer gebucht. Früher haben die Leute im Oktober alle ihre Seminare fürs nächste Jahr gebucht. Das ist passé. Jetzt kommt eine Anfrage für in drei Wochen, für 100 Personen! Aber so ist das jetzt. Internet macht alles schnell verfügbar. Das verändert das Konsumverhalten, auch bei uns. Heute ist all about the show. Dabei finde ich gerade die Lust am Produkt, den Respekt vor dem Produkt und den respektvollen Umgang mit dem Produkt ganz wichtig. Diese Wertschätzung für die Produkte – nicht nur für die Show – würde ich mir auch in der Gesellschaft wünschen.
  

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Sie haben vorhin schon kurz Ihr Küchenteam erwähnt. Wer ist denn in der Brackstedter Mühle der Küchenchef?

Christiane Schuster: Warum brauchen wir in einem kleinen Laden wie unserem Hierarchien? Ich sage es Ihnen: Wir bräuchten Hierarchien, damit die Verantwortung an andere abgegeben werden könnte. Ich möchte keine Chefs mehr haben! Ich möchte, dass wir ein Team sind, ohne Reibungsverluste, dass jeder zu mir oder meinem Mann kommen kann. Das bedeutet, dass hier jeder seine Ideen frei raushauen kann. Was meinen Sie, was da für coole Sachen rauskommen! Was meinen Sie, wie vielseitig und interessant beispielsweise unsere Speisekarte geworden ist, seit sich sieben Leute zusammensetzen. Es gibt ein Speisekartenthema, alle Ideen werden gesammelt und daraus gemeinsam eine Karte entworfen. Aber jeder muss auch damit leben, dass manche Ideen verworfen werden. Das gilt aber nicht nur in der Küche, sondern in allen Abteilungen. Ich denke, das lässt den Leuten viel Freiraum. Jeder Einzelne hat Stärken und das müssen wir im Team berücksichtigen. Manch einer schreibt die besten Dienstpläne, mancher macht das beste Mise en place, mancher hat bei Bestellungen den Überblick.

Unser gemeinsames Ziel ist ja, unsere Gäste glücklich zu machen. Wir wollen, dass sie gerne herkommen und sich wohlfühlen. Das hat natürlich mit einem ordentlichen Service und einem schönen Ambiente zu tun, aber auch mit der Stimmung hier. Ich für meinen Teil will mich nicht mehr aufregen. Deshalb will ich ein gut gelauntes Team, das gut miteinander auskommt und gemeinsam etwas bewegen kann und will. Da macht die Arbeit Spaß! Das ist ein langer Prozess und wir haben einen Coach, der uns auf dem Weg begleitet. Aber ich stelle immer wieder fest: Wenn alle über ihre Vorstellungen und Erwartungen sprechen, funktioniert das erstaunlich gut.
  

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Blick ins Restaurant Brackstedter Mühle.

Haben Sie auch Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden?

Christiane Schuster: Wir haben gerade das Glück, ein tolles, vollständiges Team zu haben. Im Moment brauchen wir nur eine Spülkraft und Auszubildende, Auszubildende, Auszubildende! Es gibt effektiv keinen Nachwuchs und wir alle, quasi die Gesellschaft, werden sich noch umschauen. Es wird mehr Systemgastronomie geben, weil einfach die Mitarbeiter fehlen. Und man muss anfangen, Dinge zu optimieren. Deshalb würde ich mir auch wünschen, dass die Leute viel mehr reservieren, das schränkt leider die Spontaneität des Gastes erheblich ein, aber niemand kann Mitarbeiter in Bereitschaft halten, nur weil vielleicht ein paar spontane Gäste mehr kommen.

Was meinen Sie mit „Dinge optimieren“?

Christiane Schuster: Wir haben beispielsweise die Restaurant-Öffnungszeiten verkürzt. Und wir nehmen nicht mehr so viele Reservierungen an, weil wir nicht die Leute haben, um eine große Anzahl von Gästen zu unserer Zufriedenheit zu bedienen. Ein Ergebnis ist, dass wir im Januar schon für Weihnachten ausgebucht sind. Auch für Sonntagmittage nehmen wir nur Reservierungen für eine bestimmte Anzahl von Gästen an. Möglicherweise kann ich dann spontan niemanden mehr annehmen, obwohl noch Tische frei sind. Ich möchte dem Gast gerne vorher sagen: ‚Lieber Gast, was Du heute von mir erwartest, kann ich nicht leisten. Bitte komme an einem anderen Tag.’ Ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass man hier ehrlich ist.

Wir beschäftigen uns zurzeit mit Onlineportalen, über die Tischreservierungen laufen können. Was uns in diesem Zusammenhang auch Schwierigkeiten bereitet, ist die zunehmende Unverbindlichkeit. Es werden Tische reserviert und nicht abbestellt, wenn man dann doch nicht kommt. Oder es wird für zwölf Personen reserviert und es kommen nur acht. Da werden wir Lösungen finden müssen.
  

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„Gastronomie ist Herzenssache.“

Haben Sie Angst, mit Veränderungen wie diesen Gäste zu verlieren?

Christiane Schuster: Ich mach das jetzt seit 22 Jahren und ich habe viel Angst gehabt vor Veränderung. Ein Gast hat mal mit einem Augenzwinkern auf Facebook geschrieben: Veränderungsprozess ist toll, aber wehe, ihr nehmt die Mühlenpfanne von der Karte! (lacht) Aber wir haben die Mühlenpfanne auch schon verändert. Die kann ja nicht 100 Jahre gleich bleiben. Und das ist genau der Punkt. Manche Sachen waren schon immer so und es ist gut so. Trotzdem muss man an anderen Stellen genauso oft mutig sein und sagen: Ich habe keine Ahnung, was dabei rauskommt, aber egal, ich mach das jetzt. Trial and Error ist nun mal ein Modell, mit dem man weiterkommt. Wenn ich es nicht ausprobiert habe und wenn ich immer nur ängstlich und unsicher bin, werde ich nicht weiterkommen.

Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter zu halten?

Christiane Schuster: Man muss sie pflegen und gut mit ihnen umgehen. Ich denke, ich bringe den Mitarbeitern Wertschätzung entgegen und zahle ein faires Gehalt über Tarif. Das finde ich zum einen gerecht, zweitens habe ich einfach tolle Leute, die Lust haben, diesen Job zu machen. Sie haben verstanden, dass Gastronomie eine Herzenssache ist und dass sich der Spaß, den sie bei der Arbeit haben, auch auf die Gäste überträgt.
 

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Fotos: © Çağla Canidar

Andererseits interessiert mich auch, warum es einem Mitarbeiter gerade nicht so gut geht. Ich find’s wahnsinnig wichtig, denn wenn es mich nicht interessiert, kann ich auch nicht erwarten, dass sie sich für Dinge, die mich angehen, interessieren. Und wenn wir gemeinsam vielleicht mal heulen oder lachen oder einen Schnaps trinken, dann entsteht doch viel mehr Empathie füreinander.

Empathie ist ja eines meiner Lieblingswörter. Ich glaube, dass man’s viel öfter aussprechen muss. Empathie und Menschlichkeit – das sind tolle Wörter! Man darf auch gerne über die Bedeutung dieser beiden Wörter nachdenken.

Welche Pläne haben Sie als Nächstes mit der Brackstedter Mühle? Woran arbeiten Sie?

Christiane Schuster: Wir lassen jetzt prüfen, ob es für meine Ideen einen Markt gibt. Zudem wollen wir das Nachhaltigkeitsthema stärker kommunizieren und dafür auch Onlinetools nutzen. Das Internet bietet da unglaubliche Möglichkeiten. Gerade im Tagungsbereich habe ich interessante Anfragen von namhaften Lebensmittelunternehmen. Diese Kunden haben bemerkt, dass es hier schön ist. Vielleicht hat es auch damit zu tun, wie wir mit Lebensmitteln umgehen.

Und dann basteln wir ständig an der Immobilie. Das ist ein altes Haus. Wir sind fortwährend dabei, an irgendeiner Ecke zu renovieren, zu reparieren, zu sanieren. Das Haus ist mein persönlicher Eiffelturm. Da kann man immer neue Ideen umsetzen. Wir haben beispielsweise kürzlich zwei neue Juniorsuiten angebaut. In jedem der beiden Zimmer hängt ein halbes Mühlrad an der Wand. Außerdem gibt es riesengroße Bilderleinwände mit Fröschen aus unserem Teich und knallgrüne Betthimmel. Diese Zimmer sehen so cool aus! Aber es gibt auch viele total plüschige, kleine Zimmer, denn die Menschen und die Geldbeutel sind ja auch unterschiedlich. Was ich wichtig finde, ist, dass der Charakter des Hauses erhalten bleibt, das Urige, ohne rustikal zu sein, ein Crossover zwischen Moderne und Tradition, gerne auch manchmal ein kleines bisschen verrückt.

Sind Sie gerne hier in Wolfsburg?

Christiane Schuster: Ja. Und ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir – also die Wolfsburger Touristiker, die WMG, mit denen wir sehr gut zusammenarbeiten, und die Stadt – es gemeinsam schaffen, die Qualitäten, die dieser Standort hat, nach außen zu tragen. Wir wollen die schönen regionalen Besonderheiten pflegen, leben und uns noch stärker öffnen für die Welt.

Frau Schuster, vielen Dank für das Gespräch! (bea)