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Samtgemeinde Boldecker Land

Im Streit vereint gegen die geplante A-39-Raststätte

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Foto: Chris Niebuhr

Parteiübergreifende Allianz im Boldecker Land demonstriert politische Kraft

Was denkt sich ein Verkehrsplaner, wenn er auf dem Reißbrett eine lange Verkehrstrasse sieht, die auf weiten Strecken durch unbesiedeltes Gebiet führt, und sich dann für den Bau einer der größten deutschen Raststätten genau den Mittelpunkt zwischen vier kleinen, nahe beieinander liegenden Dörfern aussucht? Niemand versteht es, erst recht nicht die Anwohner von Jembke und Tappenbeck, die später direkt neben der Rastanlage leben sollen und durch die Nähe der Trasse an den Wohngebieten ohnehin besonders belastet sind. Dies gilt auch für die anderen angrenzenden Orte, an denen die A-39-Trasse vorbeiführen soll.Am Bau und Verlauf des über 100 Kilometer langen Autobahnabschnitts zwischen Wolfsburg und Lüneburg schieden sich die Geister schon, als die Pläne 2004 konkret wurden. Mit dem Plazet des Bundesverkehrsministeriums schienen Fakten geschaffen und die Diskussion vom Tisch zu sein. Doch dann tauchte im A-39-Planfeststellungsverfahren von 2012 der Bau einer „Raststätte Jembke“ auf. Auf einer Fläche von 22 Hektar sollten Aus- und Auffahrten, eine Tankstelle, Gastronomie, 175 Lkw- und 50-Pkw-Parkplätze untergebracht werden.Ein Ruck geht durch die Politik

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A-39-Gegener waren außer sich, Befürwortern der Trasse stockte der Atem. Ein riesiges Verkehrsimplantat inmitten eines dörflichen Umfelds? „Das geht gar nicht!“, waren sich alle betroffenen Anwohner einig. Aber nicht nur das. Aus Politik und Verwaltung der Samtgemeinde und der betroffenen Gemeinden, der Bürgerinitiative gegen die A 39 und einzelnen Bürgerinnen und Bürgern formierte sich Widerstand. Nur, was tun, um schlagkräftige Gegenargumente zu finden?

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Statt dass alle Bürgerinnen und Bürger der Samtgemeinde sämtliche Akten wälzen müssen (Foto oben), machte sich eine parteiübergreifende Gruppe kundig und hielt die Anwohner bei Info-Treffs auf dem Laufenden (Fotos Mitte und unten). Foto: Samtgemeinde Boldecker Land

Die zuständige Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr Wolfenbüttel legte die Planungsunterlagen, wie in solchen Fällen üblich, zur allgemeinen Einsichtnahme öffentlich unter anderem im Rathaus der Samtgemeinde Boldecker Land aus, um Einwendungen innerhalb von sechs Wochen zu ermöglichen. „Auf dem Tisch lagen über 22 Aktenordner, verfasst von Bürokraten, Verkehrsexperten, Ökonomen und Juristen – ein Buch mit sieben Siegeln. Wir haben einen Kreis von rund 15 Leuten gebildet, die sich durch den Aktenwust kämpfen sollten, damit wir uns erst mal schlau machen. Dann haben wir zur Info- Veranstaltung ins Sportlerheim Tappenbeck eingeladen und unterm Strich 2000 Einwendungen gegen das Projekt gesammelt“, erinnert sich Rouven Wessel vom Verkehrsbegleitausschuss Tappenbeck.

Zwischenbilanz: Ursprünglich politische Kontrahenten zogen nun allesamt an einem Strang, die geplante Raststätte zu verhindern. „Lärm von Hunderten Lkw und Pkw, eine Dunstglocke aus Feinstaub aus Dieselmotoren und nachts taghelle Beleuchtung in unmittelbarer Nähe von Wohnbebauung sind absolut nicht akzeptabel“, waren sich die Jembker CDU-Bürgermeisterin Susanne Ziegenbein und die grüne Fraktionsvorsitzende Karin Loock einig – und mit ihnen viele parteiübergreifende Mitstreiter.

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Gestärkt durch gemeinsames Handeln: Samtgemeindebürgermeisterin Anja Meier (2. v. r.) berät sich mit den Raststätten-Gegnern Karin Loock, Rouven Wessel, Susanne Ziegenbein, und Ronald Mittelstädt (v. l.).

Behördenmühlen mahlen langsam – nach Vorschrift

Für Einwendungen gibt es Fristen, für Planungen nicht. Immerhin hat die Kritik der jungen Allianz aus dem Boldecker Land dafür gesorgt, dass die Landesbehörde nachbessern musste. Verkehrs-, Lärm- und Gewässerschutzuntersuchungen sollten aktualisiert, eine Baumaßnahme gar gestrichen werden. Korrekturen waren auch bei Ausgleichszahlungen nötig. „Das Angebot für die Neubaufinanzierung unserer Sportanlagen, die dem Bauprojekt weichen müssen, lag weit unter den tatsächlichen Kosten. Da musste die Landesbehörde deutlich nachlegen“, berichtet Tappenbecks Bürgermeister Ronald Mittelstädt.

Nächster Schritt: Im April legten die Planer eine geänderte Fassung ihres A-39-Projekts der Öffentlichkeit vor – mit Fristsetzung für Einwände, versteht sich. Diese Frist bis Anfang Juni 2017 hat die Rastplatzgegner-Union selbstverständlich eingehalten – diesmal jedoch mit fachkompetenter Unterstützung. „Um den Planungsexperten Paroli bieten zu können, haben wir einen erfahrenen sachverständigen Gutachter aus Marburg eingeschaltet, der der Landesbehörde pünktlich eine 100 Seiten umfassende Einwendung vorgelegt hat. Nun sind erst mal wieder die Planer am Zug und können sich auf Verhandlungsgegner auf Augenhöhe einrichten“, freut sich Samtgemeindebürgermeisterin Anja Meier.

Fazit Mitte September 2017: Das Boldecker Land erinnert ein wenig an das kleine gallische Dorf bei Asterix und Obelix: Mit geschlossenen Reihen – über Parteigrenzen hinweg – stemmen sich die Menschen, die hier friedlich und gesund leben wollen, sachlich und gestärkt durch Fachkompetenz gegen ein gigantisches Bauprojekt hinter ihren Gartenzäunen. Das haben inzwischen wohl auch die Planer begriffen – und werden sich vielleicht endlich um die machbaren Alternativen in unbewohntem Gebiet kümmern. (jv)