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City Magazin Wolfsburg 09/2020

„Leidenschaft entfachen: Das kann Theater!“

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© Roland Hermstein

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Dirk Lattemann ist neuer Intendant am Scharoun-Theater Wolfsburg. Welche Begeisterung das Theatermachen in ihm weckt und welche Projekte er plant, verrät der gebürtige Wolfenbütteler dem City Magazin im Gespräch.Sie sind in Wolfenbüttel geboren, standen nach Ihrer Schauspielausbildung unter anderem für diverse Fernsehproduktionen vor der Kamera und waren später am Heidelberger Stadttheater Ensemblemitglied. Dazu kamen diverse Gastspiele, unter anderem in Split und Mailand, sowie die Gründung einer Moderatorenagentur. Nun sind Sie wieder hier. Was verbindet Sie mit der Region?DIRK LATTEMANN: Die Verbindung wurde mir, ehrlich gesagt, erst wieder wirklich bewusst, als ich die Möglichkeit erhielt, mich hier zu bewerben. Aber natürlich gibt es auch die familiäre Bindung.

Im Interview: Dirk Lattemann

Sie haben Ihre Laufbahn als Theater-Schauspieler begonnen, danach folgten ganz unterschiedliche Stationen. Ist die Intendanz für Sie eine logische Folge aus dieser beruflichen Laufbahn? Was können Sie an Erfahrungen aus diesen Stationen in Ihre jetzige Position einbringen?

LATTEMANN: In erster Linie die Methodik. Als Schauspieler hat mein Herz natürlich immer dem Theater gehört. Insofern ist es wohl eine logische Konsequenz, nun wieder am Theater zu arbeiten. Ich hatte allerdings nie den Plan, Intendant zu werden. Mit Mitte 30, nach den Jahren beim Fernsehen und in der Künstlervermittlung, habe ich gemerkt, dass mir das Theater fehlt. Wissen Sie, die Gastspieltheater-Branche ist recht klein. Mit Rainer Steinkamp, meinem Vorgänger hier am Theater, habe ich mich regelmäßig ausgetauscht. So habe ich frühzeitig erfahren, dass seine Position frei werden würde.

Und bringt Ihnen Ihre Erfahrung als Schauspieler Vorteile in Ihrer jetzigen Position?

LATTEMANN: Wer selbst mal auf der Bühne gestanden hat, hat sicherlich den Vorteil, die Sprache der Künstler zu verstehen, ihre besonderen Bedürfnisse zu kennen. Aber auch die letzten Jahre in der Verwaltung, als ich für die Konzertdirektion Landgraf gearbeitet habe, sind mir heute sehr von Nutzen. Der Antrieb des Schauspielers in mir, künstlerisch zu arbeiten, geht ja nicht verloren. Hinzu kommt die Methodik, selbstständig und zusammen mit einem Team etwas zu erarbeiten.

Besteht nicht die Gefahr, dem Schauspiel zu viel Stellenwert im Programm einzuräumen?

LATTEMANN: Ich empfinde meine Nähe zum Schauspiel nicht als Hindernis. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mein Herz nicht am Schauspiel hängt, aber ich arbeite hier natürlich auch in einem Team, das im Zweifel für einen gewissen Ausgleich sorgen kann.

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© Roland Hermstein

Wie haben Sie denn Ihren Einstieg hier am Scharoun-Theater empfunden? Wir erleben ja derzeit sehr ungewöhnliche Zeiten.

LATTEMANN: Als die Planungen für meine erste Spielzeit hier anfingen, das war im Juni letzten Jahres, war ja noch alles normal. Insofern habe ich die Anfänge als gar nicht schwierig empfunden. Schwieriger wurde es erst im März dieses Jahres, als die Einschränkungen anfingen. Rechtlich dürfen wir jetzt wieder Theater machen, aber die Bedingungen sind anders.

Wie wird denn Theater bei Ihnen im Haus unter Corona-Bedingungen ablaufen?

LATTEMANN: Zunächst einmal ist unser Ziel, den Spielplan, so wie wir ihn veröffentlicht haben, auch durchzuführen. Von den Abonnenten ist das Programm bereits gut aufgenommen worden, wofür ich sehr dankbar bin. Aber niemand weiß, ob wir am Ende auch alles so zeigen können. Ganz sicher wird diese Spielzeit nicht so sein wie gewohnt. Wir werden alle flexibel sein müssen. Darüber hinaus wird es natürlich Maßnahmen zum Ablauf geben. Wir haben hier aber zum Glück viel Platz sodass wir unter Einhaltung der Abstandsregeln zumindest 260 Gäste unterbringen können. Natürlich wird das ein anderes Theatererlebnis sein als bei einem ausverkauften Saal.

Abgesehen von den Abonnenten, die dem Haus die Treue halten – wie schätzen Sie das Interesse anderer, jüngerer Zielgruppen ein und wie wollen Sie diese erreichen?

LATTEMANN: Tatsächlich möchten wir die Lücke schließen zwischen dem Jungen Theater und den Abonnenten, die in der Mehrheit ältere Menschen sind. Die Zielgruppe zwischen 20 und 45 Jahren dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Diese Menschen entscheiden sich aber eher kurzfristig und flexibel für bestimmte Themen. Darauf abgestimmt haben wir zum Beispiel ein Angebot für über 30-Jährige mit fünf Vorstellungen zu einem sehr günstigen Preis. Unser Programm bietet ja nicht nur die Klassiker, sondern auch Lesungen, Crossover-Inszenierungen sowie gesellschaftspolitische Themen, die uns alle angehen. Und natürlich darf und soll Theater auch unterhalten. Wir kommen hier auch zusammen, um gemeinsam zu lachen.

In Corona-Zeiten ist aber gerade das nicht möglich gewesen und viele Theater haben alternative Präsentationsformen im Netz ausprobiert …

LATTEMANN: Das war und ist auch eine ehrenwerte Sache, aber ich persönlich konnte mich dafür nur kurzfristig begeistern. Theater ist ein sozialer Ort, die Gesellschaft trifft sich hier, um in den Austausch mit Kunst und Künstlern zu kommen. Das erleben wir sonst fast nirgends. Es ist extrem wichtig, einen solchen Ort zu haben.

Also sind soziale Netzwerke und Streaming-Dienste keine Konkurrenz für das Theater?

LATTEMANN: Nein, meiner Meinung nach nicht. Im Theater geht es um anderes. Es geht darum, Situationen auch mal länger auszuhalten. Der immer schneller werdende, ununterbrochene Konsum im Netz bietet das nicht. Das Theater muss vielleicht auch mal lauter sein, aber an diesem, unserem Kern müssen wir festhalten. Dazu haben wir spannende Produktionen im Programm. Dieser Theaterraum ist als Konzertraum gebaut, was ja auch für die auftretenden Künstler interessant sein und auf lange Sicht auch ein Jugendabo etablieren könnte.

Ist eine Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden der Stadt oder der Region geplant?

LATTEMANN: Ich glaube grundsätzlich, dass das Thema Netzwerken wichtig ist. Aktuelles Beispiel ist die bevorstehende phaenomenale2020, das biennale Festival für Digitales, Kunst und Kultur in Wolfsburg. Wir sind unter anderem mit Pontus Lidbergs „Centaur“ dabei, in dem es um die Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf den Menschen geht. Außerdem führen wir derzeit vielversprechende Gespräche mit anderen Institutionen, etwa mit dem Kunstmuseum und der Autostadt. Ich denke, wir müssen auf beiden Ebenen, der reinen Nutzung von gemeinsamen Ressourcen sowie der ideellen Zusammenarbeit, im permanenten Austausch bleiben.

Werden wir Aufführungen unter Ihrer Leitung dann auch an anderen Spielstätten erleben?

LATTEMANN: Theater muss in der Stadtgesellschaft stattfinden, somit werden einzelne Aufführungen auch an anderen Spielstätten „aufploppen“, aber eher kurzfristig, je nachdem, was sich umsetzen lässt und welche Künstler uns zur Verfügung stehen. Das Scharoun-Theater wird als Kernspielstätte aber natürlich bestehen bleiben.

Haben Sie im aktuellen Programm persönliche Schwerpunkte gesetzt?

LATTEMANN: Das ist schwer zu beantworten, aber natürlich freue ich mich über einige Engagements besonders, zum Beispiel, dass wir das Deutsche Theater mit zwei Inszenierungen zu uns holen konnten, aber auch über die Zusage des Künstlerkollektivs Yllana aus Madrid, die zwar mit Preisen überhäuft wurden, aber in Deutschland bisher wenig bekannt sind. Wir können uns auf performative Abende mit einer Mischung aus Tanz, Sprache und multimedialen Filmen freuen. Und natürlich wären auch große Namen wir Ulrich Tukur, Götz Alsmann oder Sebastian Koch, der aus die „Kreuzersonate“ liest, zu nennen. Sie sehen, ich bin da relativ schnell begeisterungsfähig! Das mag ich am Theater, und diese Leidenschaft möchte ich auch beim Zuschauer entfachen. (MZ)

Info

Am 18. September 2020 ab 20 Uhr findet die außerordentliche Eröffnung der Spielzeit statt. Mit von der Partie sind das Folkwang Kammerorchester aus Essen und das Crossover-Quartett Uwaga.

„Wir wollten damit ein Zeichen setzen und sagen: Da sind wir wieder“, so Dirk Lattemann.