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Wolfsburg+ 2/2021

Gemeinsam gewinnen! Ralf Kellermann und Charly Fliegauf im WAZ-Interview

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© Roland Hermstein

Ralf Kellermann ist seit 2009 Sportlicher Leiter der Fußballerinnen des VfL Wolfsburg. Nach dem Ende seiner Spielerlaufbahn als Torwart (MSV Duisburg und FSV Frankfurt) war er zwischen 2008 und 2017 darüber hinaus auch Trainer der erfolgreichen Fußballfrauen des Bundesligisten (sechsmal Deutscher Meister, siebenmal DFB-Pokalsieger, zweimal Champions League-, einmal Triple-Sieger). Zudem erhielt Ralf Kellermann die Auszeichnung „FIFA-Frauenfußball-Trainer des Jahres“.Karl-Heinz (Charly) Fliegauf ist seit 14 Jahren bei den Grizzlys Wolfsburg. Der Geschäftsführer Sport & Marketing war selbst aktiver Eishockeyspieler, ist heute der dienstälteste Geschäftsführer in der DEL und seit 25 Jahren ununterbrochen dabei. Den bisher größten Erfolg feierte das Team im Jahr 2009 mit dem Gewinn des Deutschen Eishockey-Pokals. Die Grizzlys standen kürzlich zum vierten Mal während ihrer DEL-Zugehörigkeit im Play-off-Finale um die Deutsche Meisterschaft und haben den Vizemeistertitel gewonnen.

Ralf Kellermann und Charly Fliegauf über den Erfolgsfaktor Motivation

In welchen Verantwortungsbereichen ist bei Ihnen Motivation besonders gefragt?

» Fliegauf (F): Als Geschäftsführer und Sportlicher Leiter verantworte ich den Sportbereich ebenso wie die Personalführung unseres kleinen Office-Teams. Mein Aufgabenfeld reicht vom Scouting und der Verpflichtung von Spielern sowie Trainern über die Organisation des entsprechenden Umfelds, also von Auswärtsfahrten über den Kita-Platz für die Kinder der Spieler bis zur Weiterbildung der Mitarbeiter. Es gibt also vielfältige Herausforderungen. Deshalb ist es gut, dass ich mich auf mein Frontoffice hundertprozentig verlassen kann. Das funktioniert auch deshalb hervorragend, weil ich mit einem guten Gefühl Verantwortung weitergeben kann. Grundsätzlich ist es mir wichtig, die Motivation im gesamten Team hochzuhalten.

» Kellermann (K): Das sehe ich genauso. Im Gegensatz zu Charly bin ich zwar auch Sportdirektor, gehöre aber nicht zur Geschäftsführung. Als Gesellschaft und Tochter von Volkswagen haben wir naturgemäß bestimmte Pflichten, wie etwa Betriebsvereinbarungen, an die wir uns natürlich halten. Zu meinem Tagesgeschäft gehört es unter anderem, dass ich das Budget eigenverantwortlich verwalte. Der Bereich, in dem ich mich frei bewegen kann, betrifft etwa die Zusammenstellung des gesamten Teams, vom Kader über die Trainer bis zum Physiotherapeuten. Neben dem Scouting und der Organisation des gesamten Umfelds kümmere ich mich beispielsweise auch um die Personalführung unseres kleinen Teams am Elsterwerg.

Herr Fliegauf: Motiviert ein Manager anders als ein Trainer?

» F: Ja, ich denke schon, weil die Ansprache eine andere ist. Ein Trainer motiviert natürlich anders, als ich das in meiner Rolle tue. Der Trainer muss auch mal klare Ansagen machen, besonders dann, wenn es nicht so gut läuft. Ich konzentriere mich eher auf den zwischenmenschlichen Austausch. Die Rolle der klaren Ansagen kommt bei mir Gott sei Dank nicht so vor. Unser Trainingsbereich liegt direkt neben dem Frontoffice. So läuft vieles quasi nebenbei. Mir sind die Gespräche zwischen Tür und Angel sehr wichtig, um herauszuhören, was die Spieler gerade beschäftigt. Wo kann man vielleicht auch mal Vermittler sein, wo muss man motivieren? Gerade bei verletzten Spielern sind die Sorgen groß. Wir sind ein Club, der das Familiäre lebt. Das ist intern ein äußerst schlagkräftiges Argument, hilft uns aber auch, um Spieler zu uns zu holen. Denn wir sind sehr attraktiv mit Blick auf die weichen Faktoren. Also vernünftige Wohnungen, Kita- und Schulplätze etc. Das kann neben finanziellen Aspekten als Anreiz und Motivation ein ganz entscheidender Faktor sein. Trotz der unterschiedlichen Rollen von Trainer und Sportdirektor lege ich viel Wert auf eine enge Abstimmung und gute Kommunikation untereinander. Wir ergänzen uns sehr gut und weil wir eine Sprache sprechen, können wir am Ende auch gemeinsam erfolgreich sein. Insgesamt muss man beim Thema Motivation sehr individuell vorgehen, denn jeder Mitarbeiter und jeder Spieler braucht eine andere Ansprache.

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© Roland Hermstein

Herr Kellermann, was waren für Sie als Trainer Ihre größten Erfolgsrezepte?

» K: Ich kenne beide Rollen sehr gut und habe sie auch schon als Trainer, der gleichzeitig Sportdirektor war, in einer Person ausgefüllt. Die Ansprache eines Trainers und eines Managers sind sehr unterschiedlich. Als Trainer hat man täglich den direkten Austausch, in den Trainingseinheiten, während des Spiels, in der Vorbereitung. Dabei spielt natürlich die Motivation eine besondere Rolle. Aber es sträubt sich etwas in mir, wenn ich das sage. Denn wir reden hier über Leistungssportler, da sollte schon eine gewisse intrinsische Motivation vorhanden sein. Wenn ich eine Spielerin permanent motivieren muss, dann ist irgendetwas falsch. Natürlich gibt es immer wieder Phasen, in denen man jemanden aus einem Loch herausholen muss. Deshalb brauchst du als Trainer Führungsspielerinnen, die bereit sind, mit dir diesen Weg mitzugehen und die Mannschaft mitzunehmen. Im Idealfall auf einer Achse Tor, Verteidigung, Mittelfeld und Angriff. Man schaut sich diese Spielerinnen entweder aufgrund ihrer Qualitäten oder ihres Standings im Team aus – oder man versucht, sie dahin zu entwickeln. Zwischen diese Führungsspielerinnen lasse ich kein Blatt kommen, sonst hat man als Trainer verloren. Man muss ihnen blind vertrauen können und sie an Entscheidungen beteiligen. Denn es macht keinen Sinn, etwas zu entscheiden, wenn die wichtigsten Spielerinnen der Mannschaft nicht dahinterstehen. Deshalb ist die Kommunikation extrem wichtig und dass man auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Dafür stehe ich heute als Sportdirektor genauso wie früher als Trainer.

Wie gelingt es, ein Team auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören?

» K: Als Verein macht es keinen Sinn, Ziele auszugeben und dann zu sagen: Jetzt lauft mal los und seht zu, dass wir diese Ziele auch erreichen. In den langen Vorbereitungszeiten habe ich deshalb gemeinsam mit meinen Spielerinnen immer etwas entwickelt, das sich jede Einzelne auf ihre Fahne schreiben konnte. Man kann die persönlichen Ziele aller abfragen und sie in Gruppen erarbeiten lassen. Am Ende muss ein Mannschaftsziel stehen, mit dem sich alle identifizieren und in dem sich alle wiederfinden. Das kann die Mannschaft zum Beispiel auf Plakaten festhalten und dann in schwierigen Zeiten wieder herausholen. Jenseits dieses Ansatzes muss ich als Trainer immer vorneweg gehen und authentisch sein. Das gilt natürlich auch für einen Sportdirektor. Natürlich gibt es in der Saison immer wieder Situationen, in denen man noch einmal bestimmte Anreize setzen muss, zum Beispiel bei extrem wichtigen Spielen. Aber ich halte wenig davon, dass man eine gewisse Rolle spielt, um noch ein paar Prozent rauszuholen. Ich hatte die größten Erfolge damit, dass die Führungsspielerinnen die anderen Spielerinnen mitreißen konnten und ihre Probleme intern geregelt haben. Das ist deutlich besser, als das von außen zu steuern.

» F: Das kann ich nur unterstreichen, weil es auch im Eishockey ein elementarer Punkt ist, Führungsspieler zu haben, die auf dem Eis und in der Kabine für Ordnung sorgen und vorangehen. Und die in der Lage sind, ‚Ausreißer‘ wieder zurückholen, um das gemeinsame Ziel nicht zu gefährden. Diese Charakterspieler müssen davon überzeugt sein, wie der Trainer spielen möchte, und jeder muss dahinterstehen. Auch wir haben unsere Zielabsprachen in der Vorbereitung. Im Eishockey leben wir ja in einem Play-off-System, da setzt man also auch mal kleine Ziele und als Anreiz gibt es dann ein Kabinenfest oder einen zusätzlichen freien Tag. Besonders erfolgversprechend sind naturgemäß die Ziele, die aus der gesamten Mannschaft heraus entwickelt werden. Wer etwas ohne diesen Anspruch einfach als Muss vorgibt, wird kaum etwas erreichen. Der Erfolg gelingt nur, wenn das ganze Team aus eigenem Antrieb für das Ziel brennt.

''Besonders erfolgversprechend sind naturgemäß die Ziele, die aus der gesamten Mannschaft heraus entwickelt werden.''

» K: Ich möchte noch ergänzen, dass es nicht nur um die Mannschaft geht, sondern um den ganzen Staff. Vom Physiotherapeuten über die Mannschaftsärzte und Betreuer bis zur Waschfrau. Wenn wir diese wichtigen Teile des Teams nicht genauso wertschätzen wie die Mannschaft, dann funktioniert das große Ganze nicht. Ich habe ein Team zusammengestellt, das hoch motiviert ist und für unsere Sache brennt. Trotzdem versuche ich immer, für jeden Einzelnen ein offenes Ohr zu haben – und das nicht nur nach Termin. Der regelmäßige Austausch ist wichtig und ich beziehe meine Mitarbeiter*innen auch in Entscheidungsprozesse mit ein. Generell versuche ich permanent und mit ganzer Kraft, die strukturellen Arbeits- und Rahmenbedingungen zu verbessern. Das wissen die Mitarbeiter*innen zu schätzen und das motiviert sie auch stark.

» F: Das kann ich absolut bestätigen. In einem Team muss man sich hundertprozentig aufeinander verlassen können. Wir haben Mitarbeiter, die seit vielen Jahren dabei sind und unseren Spirit aus ganzem Herzen leben. Ich bin derjenige, der fordert und fördert, aber auch Verantwortung abgibt. Das setzt Vertrauen voraus und schafft Vertrauen. Am Ende müssen alle an einem Strang ziehen, um erfolgreich zu sein. Da schließe ich die Busfahrer mit ein, denn auch sie tragen eine große Verantwortung. Und das wissen wir zu schätzen.

Wie motivieren Sie sich selbst?

» K: Die Motivation ist eigentlich immer da. Bei mir ist die Freude der entscheidende Punkt. Seitdem ich laufen kann, habe ich einen Ball am Fuß gehabt, weil es mir einfach Spaß gemacht hat. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen. Das bereitet mir Freude und ist bis zum heutigen Tag meine größte Motivation. Zwar mag Anerkennung für viele ein wichtiger Antrieb sein, bei mir ist es tatsächlich die Freude am Spiel, an meiner Funktion, an meiner Verantwortung, an dem Umgang mit Menschen. Jeden Morgen freue ich mich darauf, dass man mit dieser Truppe die nächsten Schritte machen kann und auch nach der sechsten Deutschen Meisterschaft bin ich hoch motiviert, noch die siebte einzufahren. Ein Grund mehr, auch weiterhin hierzubleiben. Was mich in der Pandemie extrem motiviert hat, sind die umfangreichen Veränderungen für den kommenden Sommer. Mit einem komplett neuen Trainerteam und einem großen Umbruch in der Mannschaft. Es motiviert unglaublich, wenn man sich in die Arbeit stürzt und spürt, wie viel Freude es macht, wenn alle mitziehen, die gleichen Ziele verfolgen und mit mir gemeinsam in eine Richtung gehen wollen.

» F: Auch bei mir ist Freude die wesentliche Antriebskraft. Ich habe als aktiver Eishockeyspieler angefangen und konnte, bis ich 33 Jahre alt war, spielen. Heute bin ich der Dienstälteste in der DEL und mit 25 Jahren ununterbrochen dabei. Beides wäre ohne den Spaß an der Sache nicht möglich gewesen. Es motiviert mich und bereitet mir außerdem große Freude, wenn ich sehe, wie Spieler, die man holt, sich persönlich entwickeln, zu Top-Klubs gehen oder Nationalspieler werden. Ferner motiviert es mich, wenn man sieht, dass sich die Familien der Spieler bei uns wohlfühlen. Dass ich Einfluss nehmen, etwas bewegen und den Club voranbringen kann, inspiriert mich jeden Tag aufs Neue. Als ich damals nach Wolfsburg kam, spielten wir noch in der 2. Liga, sind dann sofort aufgestiegen und haben uns stetig entwickelt. Es gibt ständig neue Herausforderungen, für die man Lösungen findet. Das motiviert und du erfährst als Mensch Wertschätzung. Das ist großartig. Ich glaube, wenn man sich voll reinhängt, authentisch ist und gute Arbeit macht, dass einem verziehen wird, wenn es nicht so gut läuft. Inzwischen bin ich seit 14 Jahren in Wolfsburg und habe nicht vor, etwas anderes zu suchen. Wir standen viermal im Finale und wollen mehr. Auch das treibt mich an, weiterzumachen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären Motivations-Coach für Unternehmen. Was wären Ihre ersten Ansagen?

» F: Potenziale erkennen, die Menschen fordern und fördern! Auf Respekt, individuelle Ansprache und Wertschätzung achten und jeden Einzelnen mitnehmen.

» K: Ich würde noch ergänzen: Offenheit, viel Kommunikation, flache Hierarchien! Und die Zusammenarbeit sollte nicht angstgeprägt sein. Man darf Fehler machen und muss seine Meinung äußern dürfen. Also ähnlich wie in einer gut funktionierenden Familie.

» F: Das unterschreibe ich zu hundert Prozent: Familie ist das perfekte Bild!