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VfL Wolfsburg

Ich verstelle mich nicht gern: Ridle Baku vom VfL Wolfsburg

Ich verstelle mich nicht gern: Ridle Baku vom VfL Wolfsburg

Viele Fußballer spielen erst einmal bei ein, zwei Jugendvereinen, ehe Sie dann vielleicht im Nachwuchs eines Bundesligisten landen. Ihr erster Verein war Mainz 05...  Ja, das ist wahrscheinlich ungewöhnlich. Hätte es in Ihrem Heimatort keinen Klub gegeben? Doch schon, wir kommen aus Hochheim, das liegt auf der anderen Rhein-Seite in Hessen. Mein Zwillingsbruder und ich waren dort beim Verein auch zwei oder drei Mal zum Training. Aber irgendwie wollten die uns da nicht haben. Warum nicht? Das hat nicht so gut funktioniert. Ich nehme an, weil mein Zwillingsbruder und ich uns die Bälle immer nur gegenseitig zugespielt und die anderen nicht so integriert haben. Und das ist im Mannschaftssport halt nicht so gut. Aber Fußball gespielt haben Sie trotzdem? Klar, wir haben unsere Kindheit quasi auf dem Bolzplatz verbracht, wir hatten mehrere davon bei uns in der Nähe. 

RIDLE BAKU

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Und da hat man sich dann verabredet?

Was heißt verabredet? Wir hatte keine Handys, kein Whatsapp, wir sind da einfach hingegangen, da waren immer genug Kids aus ganz Hochheim. Dann haben wir Mannschaften gemacht, immer so vier bis fünf Spieler zusammen und haben bis zum Abend Turniere gespielt.

Wie alt waren Sie da?

Etwa sechs oder sieben. Aber da waren auch immer viele Ältere dabei. Und es waren o Multikulti-Gruppen, bei denen es völlig egal war, wo du herkommst oder wie alt du bist.

Ihre Eltern sind 1992, sechs Jahre vor Ihrer Geburt, aus dem damaligen Zaire nach Deutschland gekommen.

Ja, damals war Bürgerkrieg in Zaire, meine Eltern wollten in Europa ein besseres Leben – und sind in Hochheim gelandet. Mein Vater hat bei Amateurvereinen Fußball gespielt und am Flughafen Frankfurt gearbeitet.

War Fußball immer auch ein großes Familienthema?

Ja, absolut.

Aus Zaire ist mittlerweile die DR Kongo geworden, haben Sie noch eine Beziehung zu dem Land Ihrer Eltern?

Ich war noch nicht dort, aber ich will unbedingt mal hin, meine Großeltern leben noch in Kinshasa. Durch Corona ist das alles gerade schwierig. Wir haben Familie in Paris, die habe ich häufiger mal besucht.

"Meine Hautfarbe hat nie eine Rolle gespielt, weder für mich noch für meine Brüder. Wir haben da Gott sei Dank nie negative Erlebnisse gehabt."

War es für Sie jemals ein Thema, statt für Deutschland für die DR Kongo zu spielen?

Ich habe mir diese Frage tatsächlich selbst mal gestellt, das muss so in der U17 gewesen sein. Vorher wollte ich beim Fußball vor allem Spaß haben, aber irgendwann fängt man an, auch über solche Dinge nachzudenken. Und dann habe ich für mich entschieden: Am liebsten würde ich mal in der deutschen A-Nationalmannschaft spielen. Und das hat ja geklappt.

War – auf dem Bolzplatz oder im Verein – Ihre Hautfarbe jemals ein Faktor?

Nein, das hat nie eine Rolle gespielt, weder für mich noch für meine Brüder. Wir haben da Gott sei Dank nie negative Erlebnisse gehabt, weder auf dem Platz noch sonst wo.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, was Sie statt Fußballer hätten werden können?

Nein, wirklich nie. Ich habe immer gesagt, ich werde sowieso Fußballer (lacht).

Mussten Sie Ihre Eltern davon überzeugen?

Das war schwer, aber ich hab‘s hinbekommen. Und spätestens als ich dann in Mainz bei den Profis mittrainiert habe, war auch ihnen klar, dass ich diesen Weg gehen will und gehen werde.

Wie kamen Sie vom Bolzplatz zu Mainz 05?

Bei Mainz 05 gab es die „Minikicker-Tage“, da konnte man so eine Art Probetraining dort machen. Mein Zwillingsbruder und ich sind da ein fach hin, da waren wir neun Jahre alt. Das war gut – und wir sind dageblieben.

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Das war ja aber auch nicht direkt vor der Haustür…

20 Minuten mit der S-Bahn, das habe ich von der U10 bis zur U19 gemacht. Ich war auch mal kurz im Internat, aber das hat mir nicht gefallen. Ich bin dann lieber zurück zu meinen Eltern. Als ich dann Pro wurde, hatte ich in Mainz meine eigene Wohnung.

Bis zur A-Jugend haben Sie immer zusammen mit Ihrem Zwillingsbruder gespielt, dann trennten sich Ihre Wege. Wie schwierig war das?

Wir wussten schon, dass das irgendwann mal so weit sein wird – zumal auch unsere Vertragskonstellationen dann unterschiedlich waren. Sein Vertrag lief aus, meiner ging noch ein Jahr weiter. Er ist dann in die 3. Liga zu Sonnenhof Großaspach gewechselt. Am Anfang war es schwer, er war halt zuvor immer dagewesen, wir haben immer zusammen auf dem Platz gestanden. Ich habe ihn dann in der Zeit in Großaspach oft besucht, das waren ja nur eineinhalb Stunden Fahrt.

Großaspach war keine Option für Sie?

Mainz wollte mich nicht gehen lassen, deswegen hat sich die Frage nie gestellt. Als Jugendspieler waren Sie und Ihr Bruder auch in einer Fördertrainingsgruppe unter dem damaligen Nachwuchscoach Martin Schmidt.

Gibt es ansonsten einen Trainer, dem Sie besonders viel zu verdanken haben?

Ich kann keinen hervorheben. Marco Rose hat immer wieder Spieler individuell gefördert, Sandro Schwarz sowieso. Und ich hatte auch einige Einheiten unter Thomas Tuchel. Es war eher so, dass ich mir meinen Weg immer selbst erarbeitet habe. Natürlich ist es leichter, wenn dich der Trainer unterstützt – aber das haben eigentlich alle gemacht.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Fußball mehr sein kann als ein Hobby?

Das hat sich so ab der U17 entwickelt. Da durfte ich auch bei den Profis trainieren und habe gesehen, dass ich da mithalten kann.

"Ich habe es immer geschafft, mich dem nächsthöheren Niveau schnell anzupassen – und dann noch Schritte darüber hinaus zu machen."

Die Geschichte Ihres Profi-Debüts ist oft erzählt worden. Sie waren mit der zweiten Mannschaft auf dem Weg zum Spiel, dann kam ein Anruf, man hat Sie an der A5 an der Raststätte Bruchsal rausgelassen, wo Sie dann eine Stunde später von Profi-Teammanager Darius Salbert abgeholt wurden. Was haben Sie eigentlich in dieser einen Stunde Wartezeit gemacht?

Ich habe mit meinen Freunden geschrieben und meinen Brüdern. Und ich habe noch eine Kleinigkeit gegessen und einen Cappuccino getrunken. Ich war ganz entspannt, weil ich ja überhaupt nicht auf die Idee gekommen bin, dass ich bei den Pros auch spielen könnte. Unangenehm war nur, dass ich ja meine Mainz-05-Klamotten anhatte und mich die Leute an der Raststätte etwas komisch angeschaut haben. Die haben sich wahrscheinlich auch gefragt: Was macht der junge Mann hier ganz alleine?

Wie ging es dann weiter?

Ich war dann in Mainz mit Nico Bungert auf einem Zimmer, Trainer Sandro Schwarz rief mich in sein Büro. Dort hatte er die Taktiktafel mit der Aufstellung fürs Spiel gegen Leipzig stehen. Darauf habe ich dann meinen Namen gesehen – und er sagte: „Ja, du spielst.“

Dann kommt das Spiel, Sie machen das Tor zum 3:0-Endstand. Die Erinnerung an dieses Tor ist doch wahrscheinlich noch sehr präsent?

Ja, extrem.

Vorm Tor springt Ihnen der Ball weg und so kommen Sie am irritierten Dayot Upamecano vorbei. Also ein Treffer dank einer schlechten Ballannahme…

Naja (lacht), Glück braucht man auch. Ich wollte schon an ihm vorbei, aber ob ich jetzt unbedingt sagen würde, dass das Absicht war…

Was ist nach dem Spiel passiert? Waren Sie feiern oder haben Sie sich den Rest des Abends Ihr eigenes Tor im Fernsehen angeguckt?

Weder noch, ich habe den Abend mit der Familie verbracht. Ich hab mir das Tor im Fernsehen kaum angesehen – aber ich bekam jede Menge Nachrichten von Freunden mit dem Video.

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Eine Woche später treffen Sie auch gegen Borussia Dortmund und werden so urplötzlich zu einem Helden des Mainzer Klassenerhalts 2018. Was ist dann passiert?

Mein Nachrichteneingang auf dem Handy und mein E-Mail-Postfach sind explodiert. Kurz danach war die Saison vorbei und Sommerpause, das war ganz gut – aber es waren davor die besten drei Wochen meiner Karriere. Ich hatte nicht das Gefühl, mich verändert zu haben, aber plötzlich wurde ich überall in der Stadt erkannt und man ging anders mit mir um. Ich war beispielsweise mit Freunden in Mainz Pizza essen – und plötzlich hieß es, dass ich die Pizza nicht bezahlen muss. So etwas kannte ich überhaupt nicht, und ich war auch zuerst unsicher, wie ich damit umgehen soll.

Hat es Sie erschrocken, wie schnell Ihre Entwicklung ging?

Volker Kersting, der Leiter des Mainzer Nachwuchszentrums, hat immer zu mir gesagt: Du springst nur so hoch, wie du musst.

Das ist ja ein Satz, der oft eher negativ gemeint sein kann – im Sinne von: Der macht nicht mehr als nötig.

Ich habe das für mich anders definiert. Nämlich so, dass ich es immer geschafft habe, mich dem nächsthöheren Niveau schnell anzupassen – und dann noch Schritte darüber hinaus zu machen. Das war in Mainz so, das ist auch hier in Wolfsburg so.

Sehen Sie sich eigentlich eher als Rechtsverteidiger – oder doch mehr als zentraler Mittelfeldspieler?

In der Jugend habe ich alles gespielt, auch Stürmer. In der U17 und U19 auf den Außenpositionen, rechts vorn, links vorn. Eine richtige feste Position hatte ich eigentlich nie, aber im Mittelfeld auf der Achter-Position, da fühle ich mich schon ziemlich heimisch.

Sie sind Rechtsfuß, Ihre ersten beiden VfL-Tore haben Sie mit links geschossen…

Ja (lacht), das haben meine Mitspieler auch schon festgestellt.

"In Mainz kannte ich ja alles schon. Und sportlich hat es auch gepasst, also habe ich mir gesagt: Warum nicht nach Wolfsburg wechseln? Und bisher ist alles gutgegangen, der Verein ist super."

Und was haben die gesagt? Alles Zufall?

Nein, ich habe schon immer versucht, im Training auch was mit dem linken Fuß zu machen, idealerweise beidfüßig zu sein. Das Spiel ist so schnell, da kannst du dir den Ball nicht immer auf den richtigen Fuß legen. Auch das Spiel als Kind auf dem Bolzplatz, wo du eigentlich immer wenig Platz hast, hat da wahrscheinlich sehr geholfen.

Wie kam es zu der Entscheidung, Mainz nach 13 Jahren zu verlassen?

Das war echt nicht einfach, ich hatte viele schlaflose Nächte. Ich habe das mit meiner Familie besprochen, auch mit meinem Zwillingsbruder, der den Schritt weg von Mainz 05 ja schon gemacht hatte und ein sehr guter Ratgeber ist. Ich war einfach bereit für den nächsten Schritt. Anderes Umfeld, andere Farben, mal aus der Komfortzone raus – ich hatte das Gefühl, dass das gut und richtig für mich ist. In Mainz kannte ich ja alles schon. Und sportlich hat es auch gepasst, also habe ich mir gesagt: Warum nicht nach Wolfsburg wechseln? Und bisher ist alles gutgegangen, der Verein ist super.

Was war mit dem Interesse des FC Bayern?

Ich habe mich nicht ernsthaft damit beschäftigt, möglicherweise hätte das eine Option sein können. Aber ich habe mich relativ frühzeitig für den Wechsel nach Wolfsburg entschieden. Ich habe mir gesagt: Ich muss jetzt nicht unbedingt als junger Spieler zu den Bayern wechseln, so einen Schritt könnte ich auch in ein paar Jahren noch machen. Und wenn man sieht, wie es beim VfL läuft, war es die richtige Entscheidung.

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Haben Sie einen Karriere-Plan?

Irgendwann mal bei einem Top-Klub zu spielen, das ist der Traum jedes Fußballers, das muss man ja nicht leugnen. Aber planen kann man eine Karriere nicht.

Welche Ligen verfolgen Sie?

Vor allem die Premier League, die spanische La Liga und natürlich die Bundesliga. Ich kann 24/7 Fußball gucken, das wird für mich nie langweilig.


Nur Fußball?

Tennis mag ich. Nadal oder Djokovic, die schaue ich gern. Manchmal auch ein bisschen NBA-Basketball.

Was machen Sie sonst gern um abzuschalten?

Zeit mit der Familie verbringen, was leider aktuell kaum möglich ist. Aber generell ist es schön, dass mein Zwillingsbruder jetzt nur ein paar Autostunden entfernt in Kiel spielt.

Sie haben überhaupt keine Sprachfärbung, das „Meenzerische“ klingt kein bisschen durch...

Hatte ich nie. Bei meinen Eltern daheim wurde immer eine Mischung aus allem gesprochen – Deutsch, Französisch oder Lingala, eine zentralafrikanische Sprache, die ich auch kann.

"Ich nenne meinen Bruder zwar auch immer Rudi, aber um ehrlich zu sein, hört er das gar nicht so gern..."

Innerhalb der VfL-Mannschaft kommen Sie mit Französisch ziemlich weit…

Klar, das ist die Sprache, die ich im Training neben Deutsch am meisten höre.

Wie schwer fällt es Ihnen, jetzt deutlich weiter weg von der Familie zu sein als in Mainz?

Das war schon eine krasse Umstellung. In Mainz wohnten alle um die Ecke, jetzt ist plötzlich keiner mehr da. Zum Glück haben es meine Eltern schon geschafft, mich hier einmal zu besuchen, auch mein älterer Bruder Dali war ab und zu da – das hat geholfen.

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Wie fand Ihr Vater eigentlich den Wechsel nach Wolfsburg?

Um ehrlich zu sein, habe ich ihn nicht gefragt (lacht). Aber ich weiß, dass er sich alle Spiele anguckt – und dass er sehr damit zufrieden ist, wie es hier läuft.

Er hat Sie und Ihren Zwillingsbruder „Ridle“ und „Rudi“ gerufen – wegen der Torjäger Karl-Heinz Riedle und Rudi Völler. Hätte er es lieber gesehen, wenn Sie beide Stürmer geworden wären?

Er war selbst Stürmer, aber ich glaube, unsere Positionen sind ihm nicht so wichtig. Er sieht uns beide gern spielen, das ist entscheidend.

Sie heißen eigentlich Bote Nzuzi mit Vornamen, haben sich aber „Ridle“ als Namen eintragen lassen. Ihr Zwillingsbruder Makana hat das mit seinem Spitznamen „Rudi“ nicht gemacht…

Ich nenne meinen Bruder zwar auch immer Rudi, aber um ehrlich zu sein, hört er das gar nicht so gern. Ich dagegen fand „Ridle“ immer gut und bin es von klein auf immer gewohnt, so gerufen zu werden.

Im Social-Media-Bereich sind Sie wenig aktiv.

Ja, das ist nicht so meine Welt. Ich verstelle mich nicht so gern. Das muss aber jeder Spieler selbst entscheiden, wie er sich nach außen darstellt. Ich halte Privates gern privat, für einen Profußballer sind ja die eigenen vier Wände eigentlich der letzte Bereich, in dem er so sein kann, wie er will – und von dem er nichts preisgeben muss.

Aber Sie akzeptieren es, dass man viel über Sie wissen will - vor allem, seit Sie Nationalspieler sind.

Das ist Teil des Geschäfts, klar. Zum Job gehört es manchmal dazu, nicht nur Fußball zu spielen. Die Leute wollen etwas über einen erfahren, das habe ich in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich gelernt. Ich versuche, authentisch zu bleiben. Wenn meine Freunde und meine Familie Interviews von mir lesen, sollten sie mich schon wiedererkennen. Solange das so ist, ist alles gut. 

RIDLE BAKU hat einen ungewöhnlichen Werdegang hinter sich. 13 Jahre lang trug er das Mainzer Trikot – von der E-Jugend bis zu den Bundesliga-Profis. Dann wechselte er im vergangenen Oktober zum VfL Wolfsburg und wurde nach fünf Einsätzen für seinen neuen Verein A-Nationalspieler, nachdem er zuvor schon für die U18, die U20 (zusammen mit seinem Zwillingsbruder Makana) und die U21 des DFB gespielt hatte. Andreas Pahlmann sprach mit dem 22-Jährigen über dessen Karriere.