Anzeige
VFL 2018/19

"Vielleicht war ich ja zweite Wahl, es ist mir einfach egal"

"Vielleicht war ich ja zweite Wahl, es ist mir einfach egal"

Herr Schmadtke, wenn man Aachen, Hannover und Köln in die Europa League geführt hat, dann muss man den VfL Wolfsburg eigentlich... ...in der Klasse halten können.Haben Sie gerade aus Versehen ein sehr bescheidenes Saisonziel verraten? Nein, wir haben immer davon gesprochen, dass wir erst einmal Stabilität reinbringen müssen. Oberste Maxime ist es, eine ruhige Saison zu spielen. Wenn wir das geschafft haben, können wir über andere Ziele sprechen.Das Ringen um Stabilität stand schon bei Ihrer ersten Managerstation im Mittelpunkt – wie prägend war Ihre Aachener Zeit, wo Sie die Alemannia aus der Fast-Pleite in die Bundesliga geführt haben? Aachen war die schwerste und einfachste Aufgabe zugleich. Weil ich ja quasi kein Vorwissen hatte, habe ich die Dinge einfach nach meinem Gusto gemacht. Ich hatte dabei das Glück, dass ich die Funktionärslaufbahn im Schnelldurchlauf lernen durfte – Notpräsidium, kurz vor der Insolvenz, Staatsanwaltschaft im Haus, alles dabei. Viele Dinge, die ich mir ansonsten vielleicht über Jahre hätte erarbeiten müssen, habe ich da in kürzester Zeit gelernt. Und dass ich ziemlich erwartungsfrei in die Aufgabe reingegangen bin, hat es außerdem einfacher gemacht.Ist so ein Erfolg wie Aachen die Messlatte, die Sie selbst an Ihre eigene Arbeit legen? Im Fußballgeschäft rennt man sowieso immer den letzten Ergebnissen hinterher. Es ist gerade in meiner Position ein Problem, Erfolge zu genießen – weil du in Gedanken immer schon beim nächsten Spiel bist, bei der nächsten Transferperiode, bei der nächsten Saison, bei der nächsten Planung. Deswegen kommen viele Dinge oft zu kurz. Statt mal ausgelassen zu feiern und sich zu freuen, bist du immer wieder im nächsten Hamsterrad drin. Das ist ein bisschen ärgerlich. Aber um das klarzumachen: Ich renne nicht dem Bild hinterher, das man von mir vielleicht aus der Aachener Zeit hat. Ich habe bisher immer Aufgaben wahrnehmen dürfen, die für mich einen gewissen Reiz dargestellt haben.

Das neue Gesicht des VfL Wolfsburg: Sportgeschäftsführer Jörg Schmadtke spricht im Interview mit AZ/WAZ-Sportredakteur Andreas Pahlmann über seine Karriere, die Verbindung zu VW - und über bunte Trikots

Was ist der Reiz am VfL Wolfsburg?

Dass hier Bedingungen vorherrschen, die top sind – aber dass die letzten Jahre trotzdem so waren, wie sie waren. Woran liegt das? Kann man das ein Stück weit drehen? Das ist spannend.

Wieviele Antworten haben Sie schon gefunden?

Schon ein paar, ein paar andere kommen vielleicht noch – über die ich allerdings nie öffentlich reden würde. Ich rede nicht gern über Vergangenes. Und schon gar nicht, wenn ich nicht beteiligt war. Ich hatte beim VfL ja vorher immer nur den Blick von außen – der verklärt manche Dinge und ist nicht immer ganz richtig. Deswegen bin ich auch skeptisch, wenn sich sogenannte Experten über Klubs äußern, bei denen es nicht so läuft . Auch in diesen Vereinen sind ja keine Idioten am Werk. Es gibt immer Gründe, wenn etwas nicht funktioniert – aber die kann man von außen meistens nicht erkennen.

Sie haben bei Ihrem Einstand Anfang Juni davon gesprochen, die DNA des VfL kennenlernen zu wollen. Was ist die DNA dieses Vereins?

Wolfsburg hat nach meiner Wahrnehmung zwei Aushängeschilder: das eine ist VW, das andere der VfL. Dem müssen wir gerecht werden, und das ist dann schon so etwas wie die DNA hier. Wir haben Konzerndenken drin und Fußballdenken, beides muss man kombinieren. Wir sind VW, auch wenn der VfL dennoch eine Eigenständigkeit besitzt. Von außen betrachtet habe ich immer gedacht, man leugnet diese Verbindung ein Stück weit und stellt sie nicht klar genug heraus – was ich ehrlich gesagt komisch finde.

Der VfL ist der Verein aus der Stadt, die es ohne den Sponsor und Eigner des VfL gar nicht gäbe...

Genau. Und durch diese Besonderheit hat VW eine sehr spezielle Bedeutung für diese Stadt und für diese Region. Das ist das, was ich meine. Das ist eine Verbindung, die es so nur noch in Leverkusen gibt.

Der Unterschied ist, dass es die Stadt Leverkusen auch ohne Bayer geben würde.

Das mag vielleicht so sein. Aber entscheidend ist, dass beide Klubs börsenorientierte Mutterkonzerne hinter sich haben.

Aber es gibt keinen Verein neben dem VfL, in dem der Fan sozusagen in Sichtweite des Stadions durch seine Arbeit selbst das Geld erwirtschaftet, das in seinen Klub gesteckt wird.

Absolut. Ich habe bei meinen ersten Treff en mit den Fans und ganz generell mit den Menschen hier festgestellt, dass die Verbindung der Leute zu diesem Verein anders ist als anderswo – so wie auch die Verbindung zu ihrem Arbeitgeber anders ist. Die Menschen hier haben ein sehr starkes Bewusstsein dafür, dass ihr Arbeitgeber der Motor ist, der diese Stadt am Laufen hält. Die Verbindung ist eng, auch zum VfL. Man spricht hier in anderen Vokabeln über seinen Klub, das ist schön zu erleben.

Liegt für die Außendarstellung da noch Potenzial brach?


Es wäre vielleicht zu früh, darauf jetzt schon konkret zu antworten. Aber grundsätzlich glaube ich schon: Ja, da gibt es Potenzial – weil man diese Verbindung noch mehr herausstellen kann.

In Köln hatten Sie einen Vertrag bis 2023 und hatten angekündigt, danach in Rente gehen zu wollen – mit 59. Ist das immer noch eine Perspektive für Sie?

Mehr im Wald spazierengehen, mehr im See baden – das klingt immer noch gut. Aber so etwas ist ja immer schwer vorherzusagen. Ich bin da in Köln mal drauf angesprochen worden und habe dann gesagt, dass ich mich mit 59 nicht mehr mit 18-Jährigen auseinandersetzen möchte, die die Kappe falsch rum auf dem Kopf tragen. Und dass ich das dann vielleicht auch nicht mehr kann, weil die Distanz einfach zu groß ist.

Mit Verlaub: Das könnten Sie jetzt mit 54 auch schon so sehen..

Im Moment geht das noch. Mein Sohn ist 29, meine Tochter 24, das hilft. Und wenn wir ehrlich sind, haben wir, als wir jung waren, doch alle gedacht, dass man mit 50 eigentlich schon ziemlich alt ist. Heute bin ich 54 und denke: Ist eigentlich ein gutes Alter. Ich fühle mich noch relativ jung.

Wir sind VW. von aussen betrachtet, habe ich immer gedacht, man leugnet das ein Stück weit.

Machen Sie Sport?

Im Moment bin ich etwas verletzt.

Man sieht Sie quasi nie bei irgendwelchen Spielen mit Ex-Profi s oder Benefi z-Kicks.

Ich mache das auch nie.

Warum nicht?

Wissen Sie, bei so einem Promi-Kick haben immer alle Spaß – bis auf die beiden Torhüter. Und ich habe einfach keine Lust, mir von Mario Basler aus 35 Metern den Ball reinknallen zu lassen und mir dann vielleicht noch einen blöden Spruch anhören zu müssen.

So kommen Sie wenigstens nicht in die Verlegenheit, Ihre alten Torwarttrikots auftragen zu müssen.

In dieser Hinsicht habe ich mit meiner Vergangenheit kein Problem.

Die waren aber schon außergewöhnlich hässlich.

Sie vergessen, dass das eine andere Zeit und eine andere Mode war.

Waren Sie da Vorreiter? Von Ihnen gibt es besonders viele Bilder in diesen textmarkerfarbenen, wild gemusterten Shirts. Man assoziiert Sie irgendwie auch sofort damit.

Sehen Sie – das war frühe Markenbildung in eigener Sache. Ich war einer der Ersten, der im bunten Trikot spielte und ich habe mit dem einen oder anderen Hemd vielleicht auch mal übertrieben, das will ich gern zugestehen. Vielleicht fielen die Trikots bei mir so auf, weil ich ansonsten so ein hübscher Kerl war (lacht).


Aber für einen Torwart mit 1,82 Meter nicht gerade groß....

Ja, das liest man überall. Aber es sind eigentlich 1,85 Meter. Zu Beginn meiner Karriere stand das mal irgendwo falsch und das hat sich dann so durchgezogen.

Hat Ihnen aber nichts ausgemacht.

Nein. Ein Weile haben einige auch „Rüdiger Schmadtke“ statt „Jörg Schmadtke“ gesagt, keine Ahnung wieso.

Sie wirken in vielen Dingen gelassen, hat das mit Ihrem Karriereverlauf zu tun? Sie mussten im Gegensatz zu vielen anderen Talenten damals nicht die Stadt verlassen, um Profi zu werden.

Ja, diesen Zusammenhang würde ich schon sehen. Ich wurde Profi, behielt aber mein Umfeld und meine Freunde, die zum Teil eben nichts mit dem Fußball zu tun hatten. Ein junger Spieler, der heute zu einem Verein in eine neue Stadt wechselt, lernt natürlich vor allem Menschen aus dem Fußball-Bereich kennen. Ich habe abends nach dem Training meine Freunde besucht, die in einer WG lebten, vielleicht studierten und ganz andere Themen hatten. Wenn ich von meinem Job berichtet habe, bekam ich auch mal so etwas wie „Was erzählst du denn da für einen Scheiß“ zu hören. Das hat bei mir dafür gesorgt, dass ich zum Profifußball immer eine gewisse Distanz behalten habe. Ich empfinde das heute noch als Vorteil.

Es kann auch ein Vorteil sein, in jungen Jahren die Wurzeln kappen zu müssen und irgendwo in einer fremden Stadt Erfahrungen zu machen?

Das habe ich dann ja später mit dem Wechsel nach Freiburg nachgeholt.

Da waren Sie aber immerhin schon 29.

Und hatte Familie, das war dann auch schon speziell. Aber als wir dann nach vier Jahren wieder nach Düsseldorf zogen, hatte sich meine Wahrnehmung der Stadt tatsächlich verändert.

Freiburg ist für ein eher studentisch-alternatives Milieu bekannt...

Und wenn Sie da mal gelebt haben, sehen Sie eben die Läden auf der Düsseldorfer Köln mit anderen Augen. In Freiburg werden Dinge anders gelebt als in Düsseldorf. Das war spannend.


Hätte ich den Eindruck gehabt, ich wäre für den VfL nur das kleinste Übel gewesen, hätte ich den Job nicht gemacht.

Aber braucht man zur Eigenmotivation nicht emotionale Bindung?

Wir sind ohne emotionale Bindung Vierter und Sechster geworden. Es hat funktioniert. Womit ich nicht sage, dass es erstrebenswert ist.

Wie würden Sie Ihren Umgang mit Bruno Labbadia beschreiben?

Es ist ein bisschen früh, das zu bewerten. Es lässt sich gut an, aber die richtigen Prüfsteine kommen erst, wenn die Bundesliga-Saison läuft.

Stimmt es, dass Sie Labbadia schon nach Köln holen wollten?

Ich habe mich in Köln nie mit einem anderen Trainer als Peter Stöger beschäftigt. Aber das ist eben eine von den Geschichten, die so rumgeistern. Ich habe ja angeblich auch Labbadia schon in Wolfsburg installiert, bevor ich hier überhaupt ins Amt kam. Zumindest hat man sich das in Köln so erzählt. Aber in diesem Geschäft sind viele Geschichten im Umlauf, da kommt es auf eine mehr nicht an. Und alles immer wieder richtigzustellen, dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Im Gespräch: AZ/WAZ-Sportredakteur Andreas Pahlmann mit Jörg Schmadtke.


Wie haben Sie die Bemühungen des VfL um Hannover-Manager Horst Heldt verfolgt?

Ich war damals mit anderen Dingen beschäftigt – mit der Aufarbeitung meiner Köln-Zeit und mit der Frage, wie ich mich vielleicht orientieren möchte.

Hatten Sie nie den Eindruck, beim VfL zweite Wahl zu sein?


Vielleicht war ich das ja. Aber es ist mir einfach egal. Sie werden meine Arbeit am Ende ja nicht milder beurteilen, weil ich zweite oder dritte Wahl war. Am Ende werde ich an dem gemessen, was wir hier erreichen werden.

Aber man muss so einen Job ja mit einer gewissen Überzeugung antreten.

Sie müssen keine Angst haben, dass ich Zweifel an mir oder meinem Tun hätte. Und hätte ich den Eindruck gehabt, ich wäre für den VfL nur das kleinste Übel oder einer der Krümel gewesen, die man am Ende noch aufsammelt, dann hätte ich den Job nicht gemacht. Ich bin immer nur dahin gegangen, wo mich die Aufgabe interessiert und ich willkommen war.

Es hat vielleicht auch geholfen, dass der Posten des VfL-Aufsichtsratschefs unmittelbar vor den Gesprächen mit Ihnen neu besetzt wurde.

Das kann ich nicht beurteilen. Ich gebe zu, dass ein paar Sachen nach außen hin vielleicht ein bisschen komisch aussahen, auch der Ablauf mit Horst Heldt. Aber es wird ja Gründe geben dafür. Ich will diese Gründe gar nicht wissen, weil ich mich lieber mit den Dingen befasse, die ich gestalten kann – und nicht mit dem, was war.

Was wäre denn ein fairer Maßstab, um die Arbeit eines sportlich Verantwortlichen zu beurteilen?

Auf jeden Fall muss man genau hinschauen. Wenn Sie es nur an Titeln messen, müsste man sagen, mehr als drei Viertel der Liga arbeitet schlecht, und das wäre ja nicht richtig. Es gibt Kollegen, die einen tollen Job machen, aber noch nie einen Titel gewonnen haben. Auf jeden Fall wäre es zu billig, dafür nur auf die Tabelle zu gucken.

Spielen Glück und Pech eine Rolle? Weil Spieler sich manchmal anders entwickeln als gedacht, beispielsweise.

Natürlich. Jeder Bundesliga-Manager hat sich bestimmt schon mal geärgert, weil ein Transfer nicht geklappt hat – und war dann am Ende doch froh darüber. Es gibt Kollegen, die sagen: Unser Job ist eigentlich Fehler-Minimierung – weil es das wichtigste ist, keinen großen Fehler zu machen.

In Köln hatte man am Ende den Eindruck, Ihre Tätigkeit wurde nach einem einzigen Transfer-Fehlgriff beurteilt – der Verpflichtung von Jhon Cordoba als Nachfolger von Anthony Modeste.

So war es ja auch. In der Rückbetrachtung waren dann plötzlich alle Transfers des Sommers schlecht, aber vielleicht ist es auch normal, wenn das so beurteilt wird. Für einen Manager gilt ja mittlerweile auch das, was immer für Trainer galt: Man trennt sich nicht, wenn der Vertrag ausläuft, sondern in einer Krise. Und wenn in einer Krise zurückgeblickt wird, dann wird vieles aus der aktuellen Situation heraus bewertet.

Haben Manager heute tatsächlich eine Halbwertzeit wie Trainer und taugen nicht mehr als verlässliche, dauerhafte Vereinskonstante?

Was ist verlässlich und dauerhaft?

Peter Pander war 13 Jahre lang Manager des VfL.

Aber er war das zu einer Zeit, als man Manager in Krisen eigentlich nicht angefasst hat, weil sie quasi das Gesicht des Vereins und der strategische Part waren. Das hat sich deutlich gewandelt. Heute muss die Mobilität auch bei uns Managern größer sein als vor zehn oder 15 Jahren, weil wir auch schneller getauscht werden. Aber ich agiere trotzdem nicht wie ein Trainer, der ja immer erst auf die nächsten Spiele und vielleicht auf das nächste halbe Jahr gucken muss. Ich versuche schon, immer eine mittelfristige oder langfristige Planung für den Klub im Blick zu haben.

Macht es diese „Manager-Mobilität“ nicht für einen Verein wie den VfL besonders schwierig, eine Identität zu finden – gerade weil jemand fehlt, der dauerhaft das Gesicht des Vereins sein kann?

Als Manager bist du immer auch das Gesicht deines Vereins, egal, wie lange du da bist. Inwieweit du in dieser Rolle akzeptiert wirst und wie nachhaltig das ist, hängt natürlich vom Erfolg ab.

Zu den Veränderungen in Ihrem Geschäft gehören auch wuchernde Transfersummen. Sie haben zu Ihrer Kölner Zeit mal angemerkt, dass es unmöglich wird, Marktwerte einzuschätzen, weil immer häufiger irrationale Summen gezahlt werden. Haben Sie Ihr Koordinatensystem für Ablösesummen mittlerweile wieder justieren können?

Es gibt immer noch Transfers, bei denen man sich fragt: Wie kommt denn jetzt diese Summe zustande? Es sortiert sich insofern, dass es einfach generell hochpreisiger geworden ist. Das kann man kritisch sehen, es ist aber nun mal so. Die riesengroßen Auswüchse sind vielleicht ein bisschen weniger geworden. Aber klare Koordinaten, an denen man sich orientieren kann, gibt es nicht mehr.

Ist das ein Problem für den Fußball?


Im Moment nicht, weil das Geld, das da von A an B bezahlt wird, offenbar auch wirklich vorhanden zu sein scheint. Aber die Frage ist, ob dieses Geld immer weiter erwirtschaftet wird – oder ob es irgendwann mal zum Kollaps kommt.

Muss man davor Angst haben?


Ich bin kein ängstlicher Typ. Aber ich habe diesen Gedanken hin und wieder. Und ich weiß, dass unter den Manager-Kollegen oft die Köpfe geschüttelt werden über die Summen, die da über den Tisch gehen oder die aufgerufen werden.

Entfremdet sich der Fußball gerade von seinen Fans, weil sich der normale Zuschauer den Unterschied zwischen 10 Millionen und 100 Millionen sowieso nicht mehr vorstellen kann?


Da kann man prima drüber diskutieren – ob wir uns gerade von der Basis entfernen, die den Fußball mal ausgemacht hat. Oder ob wir schon längst weg sind, vielleicht schon seit 20, 25 Jahren. Ich stamme noch aus einer Zeit, in der es in der Sportschau drei Bundesliga-Spiele gab – und in der sogar noch Bundesliga-Spiele ohne Kamera stattfanden. Das kann man sich heute, wo bei jedem Viertliga-Spiel Kameras aufgebaut werden, gar nicht mehr vorstellen. Die Dinge haben sich deutlich bewegt.

Bleibt das System Fußball dabei gesund?


Seit Mitte der 90er wird ja immer wieder erzählt, dass die Fußball-Blase irgendwann platzt. Dass habe ich bisher nicht wahrnehmen können. Selbst die Kirch-Krise Anfang der 2000er, die damals fast als so etwas wie das Ende des Abendlandes empfunden wurde, war ja im Nachhinein in der Entwicklung des Fußballs und seiner TV-Vermarktung nur eine Delle. Im Grunde sogar nur eine winzig kleine Delle.

In England und China werden aberwitzige Summen gezahlt. Driften die Märkte international auseinander?


Es sieht so aus, ja. Es gibt mittlerweile Ausstiegsklauseln in Spielerverträgen, bei denen für England andere Summen gelten als für andere Länder. Für China gibt es das auch. Wenn so eine Schere erst einmal auseinander geht, dann fügt es sich anschließend nur sehr schwer wieder zusammen. Das ist aber nicht nur im Fußball so. Erst wenn ein Markt kollabiert, werden die Dinge neu sortiert. Aber solange es funktioniert, wird der Markt so bleiben.

Wie müssen Sie darauf reagieren? Nehmen wir mal Wout Weghorst. Hätten Sie diesen Transfer beispielsweise gar nicht erst versucht, wenn Sie gemerkt hätten, dass an ihm auch ein oder zwei englische Klubs dran sind?

Nein, man muss einfach Entscheidungen schneller treffen. Ich habe in meiner Anfangszeit als Manager noch Spieler verpflichtet, denen ich ein Jahr gefolgt bin, um sie mir in unterschiedlichsten Situationen anschauen zu können. Das geht heute nicht mehr. Wenn du heute siehst, dass ein 17-Jähriger in der 1. Liga irgendwo auf der Bank sitzt, musst du eigentlich den Berater sofort anrufen und bis zur Einwechslung des Spielers den Vertrag gemacht haben. Sonst geht es nicht mehr. Der Markt wird schneller, die Spieler jünger. Ich muss den 17-Jährigen holen, weil er als 19-Jähriger zu teuer ist. Und dann hab ich ihn vielleicht nur ein- oder zweimal gesehen, wo ich ihn mir früher zigmal angeguckt hätte. Die Zeit habe ich heute nicht mehr. Es geht ja alles schneller: Als ich 2001 als Manager angefangen habe, hat es drei Tage gedauert, bis ich ein Drittliga-Ergebnis aus Bayern bekommen habe. Heute habe ich das in Echtzeit auf meinem Telefon.

Werden Neuverpflichtungen dann zum Roulette-Spiel? Nach dem Motto: Ich setze mal auf den oder auf den – und gucke, ob ich Glück habe?


So weit würde ich nicht gehen. Ich fand es allerdings immer ganz prickelnd, durch die Gegend zu fahren, um Spieler zu entdecken. Man musste sich bewegen. Heute bekommt man die Bilder geliefert, bekommt alles live übertragen. Es ist schade, dass unser Job für die Bequemen einfacher geworden ist. Und so viele Scouts wie heute hatten wir damals auch nicht.

Ist Ihr Sohn eigentlich immer noch als Scout für den 1. FC Köln tätig?


Ja.

Gibt es da nicht Interessenskonflikte?

Wieso? Das ist doch eine andere Liga.

Ruft er nicht wenigstens mal an und sagt: ,Papa, wir haben da einen, der ist zu gut für uns, vielleicht wäre er was für dich‘?

Nein. Das machen wir nicht.

Jörg Schmadtke stammt aus Düsseldorf-Eller und wechselte als achtjähriger von seinem Stadtteil-klub zur Fortuna, wo er mit 19 Jahren Profi wurde - und in der Bundesliga auch schon mal mit gewagten Torwarttrikots auffiel.

Mit 29 wechselte Schmadtke zum SC Freiburg, wo er vier Jahre blieb. es folgten Verträge in Leverkusen und Gladbach; zu Liga-Einsätzen kam er dort nicht mehr.

Nach einem Kurz-Intermezzo als CO-Trainer in Gladbach wurde Schmadtke Manager von Alemannia Aachen (2001 bis 2008), es folgten Engagements bei Hannover 96 (2009 bis 2013) und beim 1. FC Köln (2013 bis 2017). seit dem 1. Juni 2018 ist er Sport-Geschäftsführer beim Vfl wolfsburg.


Sie haben in Freiburg – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – nebenbei die A-Jugend trainiert. Wollten Sie immer Trainer werden?

Ja, ich habe auch schon mit 18, 19 Jahren Jugendteams in Düsseldorf trainiert. Mir war immer klar, dass ich Trainer werden will, darum habe ich damals auch die A-Lizenz gemacht. Als dann die Jugend-Bundesliga eingeführt wurde, ging das in Freiburg nicht mehr, weil die Reisen zu weit wurden. Ich habe das Freiburger Team nach einem Jahr wieder abgegeben.

Und zwar an Christian Streich. Ist der Ihnen eigentlich dankbar dafür? Immerhin war das für ihn ein Karrieremeilenstein....

...während meine Trainerkarriere grandios gescheitert ist (lacht). Ich glaube, der Christian weiß das gar nicht mehr.

Haben Sie mal an ein zweites Standbein gedacht? Sie haben kurzzeitig Maschinenbau und dann BWL studiert.

Maschinenbau hab‘ ich vermutlich gewählt, weil mein Vater Schlosser war. Ich habe dann aber relativ schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist – inklusive der Leute, die das studierten. Und als das BWL-Studium losging, war ich schon Profi, bin dann nach dem Training nach Wuppertal an die Uni gefahren. Irgendwann ging das nicht mehr, obwohl ich gern ein berufliches Hintertürchen gehabt hätte, falls das mit dem Profifußball schiefgegangen wäre.

Nach der aktiven Karriere waren Sie dann Co-Trainer von Rainer Bonhof in Gladbach und mussten gehen, als er rausflog. Und Sie wollten eigentlich im Trainerjob bleiben...

Ja, ich habe Bewerbungen geschrieben, wäre fast sogar Verbandssportlehrer geworden. Und dann kam Aachen und alles wurde anders.

Die Geschichte, wie Sie sich auf eine Anzeige im Kicker hin als Sportdirektor bei Alemannia Aachen bewarben, haben Sie oft erzählen müssen. Stimmt es, dass Sie am Ende den Job bekamen, weil Sie als einziger der drei verbliebenen Kandidaten Ihr Konzept sauber abgetippt haben?


Naja, so wurde es mir jedenfalls hinterher erzählt. Einer hat angeblich gar nichts abgegeben, der andere einen handschriftlichen DIN-A4-Zettel, und ich habe am Rechner so etwas wie eine Präsentation gebastelt. Und am Ende haben die dann zu mir gesagt: Okay, Sie sind es.

Aus der Aachener Zeit stammt Ihr freundschaftliches Verhältnis zu Dieter Hecking. Wie wichtig ist es für den Erfolg eines Klubs, dass die Chemie zwischen Trainer und Manager stimmt?

Gar nicht.

Nicht?

Man kann auch erfolgreich sein, wenn die Chemie nicht stimmt. Das hat es auch schon gegeben, habe ich gehört (grinst).

Sie sprechen Ihr bei Hannover 96 schwieriges Verhältnis zu Trainer Mirko Slomka an.

Das haben Sie jetzt gesagt.

Kann man unter solchen Vorzeichen wirklich gut arbeiten?

Ja, aber es ist deutlich unangenehmer. Es fällt leichter, wenn man zusammen auch mal ein Bier oder einen Kaffee trinken kann und wenn man in der Lage ist, auch mal über andere Dinge als ein 1:0 zu reden. Und das Leben ist kurz, da macht es mehr Spaß, Dinge mit Freude anzugehen. Allerdings brauchte ich das nicht zwingend, um meinen Arbeitstag anzugehen, ich kann sehr sachorientiert arbeiten.