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VFL Wolfsburg 2018

Wo ist denn da die Werkschäftzung?

Wo ist denn da die Werkschäftzung?

Roy Präger trifft Maximilian Arnold

Die Idee mit dem Doppelinterview hat sich schnell erledigt. Als sich Roy Präger (46) und Maximilian Arnold (23) für uns in der Fussball-Welt des VfL treffen, legen sie sofort los. Der eine, Aufdtiegsheld 1997 und der erste Wolfsburg Bundeliga-Star, übernimmt die Gesprächsfürung. Und der andere, Eigengewächs und Identifikationsfigur der Wolfsburger Fussballneuzeit, steigt darauf ein. Eine Unterhaltung zwischen zwei Fussballgenerationen? Nein, eher ein Plausch unter Fussballer. Präger: Ich würde gern mal als Erstes mit dir über Wertschätzung reden. Du hast im Sommer eine tolle U-21-EM gespielt. Dann ging die neue Saison los, und du warst beim VfL erst mal draußen. Da habe ich mich schon gefragt: Wo ist denn da die Wertschätzung für einen verdienten Spieler, der Leistung bringt, der Kapitän des U-21-Europameisters ist? Ich war überrascht. Du auch?Arnold: Ich weiß nicht, ob ich wirklich überrascht war. Ich war ja in den letzten Spielen der Saison davor auch schon raus, und muss ehrlich sagen: Da habe ich dann nicht mehr so meine Leistung gebracht. Ich war im Abstiegskampf zu verkrampft. Der VfL ist eben nicht irgendein Verein für mich, er bedeutet mir eine Menge. Ich wollte es zu gut machen und habe vielleicht nur noch 95 Prozent Leistung geschafft, wo 100 Prozent nötig gewesen wären. Bei der U-21-EM habe ich dann schon gezeigt, dass ich den Kopf wieder frei hatte – und ich bin dann auch mit positiven Gedanken wieder nach Wolfsburg gekommen. Dass ich weniger Vorbereitung hatte, war für mich eigentlich kein Thema, ich werde dadurch ja kein anderer Fußballer. Und ich glaube, die Leute, die hier zum Verein kommen, müssen sich mittlerweile schon mit mir beschäftigen.

VFL Wolfsburg 2018

Wo ist denn da die Werkschäftzung?-2

Präger: Klar, einer wie du, der im eigenen Verein gereift ist, ist enorm wichtig für den Klub. Im Grunde gilt das doch für alle Mitarbeiter im Verein: Wer ordentliche Arbeit macht, der verdient Wertschätzung – gerade auch, um die Geschichte des Vereins weiterzuschreiben. Dieses Thema „Wertschätzung”, das finde ich schon ziemlich bedeutend. Und du machst ja deinen Weg, ich weiß ja, wie es bei mir war: Wenn du erst einmal in der Bundesliga angekommen bist, dann willst du nicht nur immer erfolgreicher sein – dann willst du auch Anerkennung erfahren, vom Verein, von den Medien, von den Leuten zu Hause, von den Mitspielern. Aber ich denke, das passt bei dir gerade.

Arnold: Ja, ich bin zufrieden. Aber du, du bist ja quasi eine Legende...

Präger: Quatsch.

Arnold: Nein, ehrlich. Als ich 2009 nach Wolfsburg kam, hatte ich ja noch nichts mit der Profi-Mannschaft zu tun. Bei eurem Aufstieg 1997 war ich erst drei Jahre alt. Aber wenn man dann hier ist und sich mit dem VfL beschäftigt, dann landet man ja zwangsläufig ganz schnell bei Roy Präger. Vorher hatte ich Wolfsburg ehrlich gesagt nicht so auf dem Schirm...

Präger: Aber da bist du nicht der Einzige. Als ich von Fortuna Köln hierherkam, hatte ich keine Ahnung, wo genau Wolfsburg eigentlich liegt. Ich hab‘ dich das erste Mal wahrgenommen, als du mit der U 19 im Endspiel um die deutsche Meisterschaft standst. Da hat man gesehen, was du für ein Potenzial hast. Umso schöner, dass so ein Nachwuchsspieler es dann wirklich nach oben schaff t. Aber wie kam das eigentlich, dass du bei der U-21-EM Kapitän warst?

Arnold: Zwei Tage vorm Turnier kam Trainer Stefan Kuntz zu mir und fragte mich. Ich habe zuerst gedacht, er will mich verarschen, ich war ja unter seinem Vorgänger nur Bankdrücker. Aber ich habe dann gesagt: Klar, mache ich gerne. Und es war ja auch ganz erfolgreich.

"Wir haben in der Stadt mit Fans diskutiert. Das kannst du heute nicht mehr machen."

Roy Präger

Präger: Wie deine ganze Karriere bisher – aber tauschen möchte ich mit dir nicht. Wenn ich so überlege, bei uns waren damals vielleicht drei Kameras aufgebaut, bei euch sind es mittlerweile über 20 – das ist ja nicht so einfach heute, man muss auf jedes Wort aufpassen, das man sagt.

Arnold: Das mit den Kameras gilt ja neuerdings nicht nur für Interviews, sondern auch im Spiel. Du kannst doch heute bei einer Ecke keinen mehr festhalten, das fangen doch die Kameras sofort ein. Wie willst du da richtig verteidigen? Du musst ja immer am Mann sein.

Präger: Da kannste gleich Raumdeckung machen.

Arnold: Aber dann laufen sie dir mit Wucht rein.

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Präger: Stimmt schon. Früher war nicht alles besser, aber du konntest wenigstens noch richtige Zweikämpfe führen. Ich möchte heute kein Profi sein, du wirst als Spieler überall beobachtet, verlierst dadurch quasi auch den Bezug zu deiner eigenen Freiheit. Wir sind früher in die Stadt gegangen, haben mit Fans diskutiert. Das kannst du heute nicht mehr machen. Das ist schade, ist aber leider so. Jeder hat ein Handy.

Arnold: Ja, wenn wir heute einen Mannschaftsabend machen, müssen wir eigentlich den Raum komplett zuschließen und am besten die Handys noch vorne abgeben. Ich muss allerdings sagen: Ich würde schon gern tauschen und mal in deiner Haut stecken. (lacht). Wir kennen ja die Geschichten und wissen genau, dass ihr früher auch gut am Feiern wart. Das ist heutzutage schwieriger, ja. Aber das ist halt so, und damit müssen wir klarkommen.

Präger: Jeder hatte seine Zeit, du bist jetzt Spieler und solltest das genießen.

Arnold: Vielleicht müssen wir in 20 Jahren noch mal darüber sprechen, um abschließend bewerten zu können, wer von uns beiden es besser hatte.

Präger: Und dann nehmen wir noch einen dazu, der dann Profi ist.

Arnold: Genau.

"Ich bin eigentlich immer sehr dankbar für das, was ich gerade habe"

Maximilian Arnold

Präger: Aber vielleicht ist der doch nur noch Computer-gesteuert oder die Profi s sind alle nur Figuren auf der Playstation 4...

Arnold: Das wäre dann bestimmt schon die Playstation 10, die wahrscheinlich nicht mehr mit einem Controller gesteuert wird, sondern nur durch Kopfbewegungen.

Präger: Wo wir gerade bei Veränderungen sind – ich war ja zwischendurch beim HSV, und ich muss sagen: Mal den Verein zu wechseln, war schon wichtig, auch für die Persönlichkeitsentwicklung. Ich kann jeden verstehen, der sagt, ich möchte mal eine neue Sprache lernen oder mal eine andere Kultur erleben. Ich hatte damals die Chance, vielleicht zu Espanyol Barcelona zu gehen, das hat sich leider zerschlagen, ich bin deswegen immer noch ein bisschen traurig.

Arnold: Du haust mich grad ganz schön in die Pfanne (lacht), das weißt du schon...

Präger: Weil du jetzt schon so lange hier bist? Nein, so war das nicht gemeint. Aber du musst vielleicht auch irgendwann die Entscheidung treffen...

Arnold: Ich glaube nicht, dass Espanyol Barcelona anruft (lacht). Aber du hast schon Recht, irgendwann kommt man vielleicht mal an den Punkt, an dem man sich entscheiden muss. Ich bin eigentlich immer sehr dankbar für das, was ich gerade habe. Nichtsdestotrotz ist es ja auch legitim, mal nach links und rechts zu schauen, das würde ja jeder andere auch tun. Und es liegt ja immer auch an der Ablöse. Was heute für Spieler gezahlt wird, ist ja utopisch...

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Präger: 1995 hat der VfL für mich 960.000 Mark an Fortuna Köln bezahlt. Aber das wurde damals errechnet – altes Gehalt, neues Gehalt und dann kamen noch Multiplikatoren dazu. Nach heutigen Maßstäben wäre ich ablösefrei gewesen. Hertha wollte mal 5 Millionen für mich ausgeben, das war ein halbes Jahr nach dem Bundesliga-Aufstieg, ich saß damals schon mit Dieter Hoeneß, Jürgen Röber und Robert Schwan im Büro. Damals habe ich dann gesagt: Es ist gut, was ich in Wolfsburg habe, ich will hier noch etwas erreichen. Man muss da immer auch auf sein Bauchgefühl hören...

Arnold: ...und man weiß ja auch nie, was das Leben noch bringt.

Präger: Aber ich würde mich schon freuen, wenn du die nächsten zehn Jahre noch hier spielst und um dich herum eine starke Mannschaft aufgebaut wird, die wieder international mitmischen kann. Am Ende muss es jeder für sich entscheiden, ich will dir auch nichts raten – ich hab‘ mir ja damals auch nicht von irgendwelchen Personen reinreden lassen...

Arnold: ...aber du gehörst ja für mich nicht zu „irgendwelchen Personen“, das muss ich jetzt schon mal sagen.

Präger: Du weißt, wie ich das meine. Manchmal habe ich übrigens das Gefühl, dass wir uns ziemlich ähnlich sind. Ich war auch immer extrem ehrgeizig, aufbrausend...

Arnold:
Aber ich bin doch schon viel ruhiger geworden.

"Profi-Fussballer ist eine Sache, die man mit dem Herzen und zu Prozent machen muss"

Roy Präger

Präger: Ich auch, weil ich keinen Kaffee mehr trinke. (lacht)

Arnold: Aber so richtig vergleichbar ist es dann doch wieder nicht, weil wir auf verschiedenen Positionen spielen. Würde ich weiter vorn spielen, hätte ich gern deine Kaltschnäuzigkeit.

Präger: Ach, hör auf, mich haben sie Chancentod genannt.

Arnold: Also ich kenne Szenen von dir, da warst du echt kaltschnäuzig.

Präger: Ja, es gab da Phasen, in denen alles klappte. Aber wenn ich so richtig kaltschnäuzig gewesen wäre, dann hätte ich auch Elfmeter geschossen. Hätte ich die dann einfach reingeknallt, hätte ich 20 Tore mehr auf meinem Konto...

Arnold:
Also bei Elfmetern hilft es gar nichts, wenn man‘s mit Gewalt machen will, das hab‘ ich in der Hinrunde gegen Hoffenheim selbst gemerkt...

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Präger: Seit ich beim Elfmeterschießen 1997 gegen die Bayern das Ding Richtung Anzeigetafel gehauen habe, habe ich eine regelrechte Elfer-Phobie. Selbst wenn ich mir heute in der Traditionsmannschaft das Ding auf den Punkt lege, weiß ich schon: Der geht vorbei. Was wir beide aber auf jeden Fall gemeinsam haben: Wir waren auf einer Sportschule in den neuen Bundesländern, ich in Brandenburg, du bei einem Klub...

Arnold: Ja, Dynamo Dresden. Da gab‘s auch noch andere Sportarten, Fechten zum Beispiel. Nach dem Wechsel nach Wolfsburg bin ich dann auf die Eichendorff-Schule, da waren dann nur wir Fußballer. Das war gut, aber die Infrastruktur insgesamt war zu der Zeit im Osten doch noch ein Stück besser, das muss man sagen.

Präger: Ja, das sehe ich auch so. Ich war auf einer Sportschule der Betriebssportgemeinschaft – vormittags Schule, nachmittags Training. Der Unterschied zu dir ist, dass ich dann danach noch eine Lehre gemacht habe, als Industriemechaniker. Anfangen kann ich damit aber auch nichts mehr, ich kann zwar mit dem Akku-Schrauber umgehen und bin zu Hause ein ganz guter Handwerker, das war es dann aber auch. Profi-Fußballer ist ‘ne Sache, die man mit dem Herzen und zu 100 Prozent machen muss.

Arnold: Ich hatte mein Fach-Abitur machen wollen, aber ich habe dann schnell gemerkt, dass ich keine Chance habe, den Abschluss zu schaffen. Ich war dann ja mit 17, 18 schon bei den Profi s, habe da im Training Gas gegeben. Das war dann eine Sieben-Tage-Woche. Wenn die anderen montags frei hatten, hatte ich Schule. Irgendwann war ich ziemlich am Ende und musste eine Entscheidung treffen. Einen Monat lang hab‘ ich mit mir gerungen, dann musste ich die Schule beenden. Direkt danach hatte ich das Glück, innerhalb von wenigen Spielen drei Tore in der Bundesliga zu schießen, dann kam eine Vertragsverlängerung und dann sah die Welt wieder anders aus.

"Die Infrastruktur wat zu der zeit im Osten doch noch ein Stück besser, das muss man sagen"

Maximilian Arnold

Präger: Was heißt hier Glück? Das ist doch kein Glück, das muss man sich hart erarbeiten. Bei mir haben sie damals auch gesagt, da hat der Roy aber Glück gehabt, wenn ich die Bälle in den Winkel geschossen habe. Nee, da musst du Zutrauen in deine Fähigkeiten haben. Das ist bei dir ja nicht anders, das ist ja kein Glück, sondern die Entscheidung, im richtigen Moment Gas zu geben und Verantwortung zu übernehmen. Das fällt einem nicht zu, das erarbeitet man sich. Ich bin ja damals über das Stützpunkttraining irgendwann in die erste Mannschaft von Stahl Brandenburg gerutscht. Da waren dann im Training Spieler dabei, vor denen ich eine Menge Respekt hatte – aber ich hatte keine Angst. War das bei dir auch so? Wenn ich deine Spiele so sehe, würde ich sagen: Angst gibt es nicht...

Arnold: Diese Tugend, sich selbst was zuzutrauen, ist wichtig – darum war es vielleicht auch gar nicht so falsch, was Mehmet Scholl da gesagt hat, auch wenn vielleicht seine Wortwahl nicht in Ordnung war. Mal richtig aus sich rauskommen, sich selbst zeigen, Emotionen zulassen, das ist wichtig. Es gab bestimmt viel, viel talentiertere Spieler als mich, aber ich hatte immer auch den Ehrgeiz, mich durchzubeißen. Bei dem ersten Training hier bei den Profi s mit Stars wie Diego oder Mandzukic bin ich nicht hingegangen und habe gesagt „Hey, spielt mir mal den Ball zu“, aber Angst darfst du eben auch nicht haben. Ich hab‘ in den ersten beiden Trainingswochen über meine Verhältnisse trainiert und dann einen Profivertrag bekommen.

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Präger: Du wächst ja auch, wenn du dich plötzlich mit so starken Spielern im Training messen kannst. Und irgendwann bist du dann gestandener Bundesliga-Spieler, mit allem, was dazugehört. Kannst du eigentlich noch ganz normal durch die Stadt gehen?

Arnold: Klar, kein Problem. Manchmal drehen sich Leute um und gucken, als wäre ich ein Außerirdischer, aber das ist ja keine Belastung für mich. Und ich bin ja auch nur ein Mensch wie jeder andere. Wie siehst du das?

Präger: Ich treffe natürlich eine Menge Leute in der Stadt, die ich kenne. Aber bei mir ist das ja was anderes, ich bin ja nur noch Mitarbeiter des Vereins.

Arnold: „Nur noch“, was soll denn das heißen?

Präger: Ich bin gern Mitarbeiter des VfL, aber eben kein Spieler mehr – und als ich das noch war, war‘s eine andere Zeit. Der Fußball-Standort Wolfsburg hat sich seitdem ja extrem entwickelt. Als ich hier im alten Stadion gespielt habe, hatten wir ja auch die ganze Infrastruktur noch gar nicht wie ihr sie heute habt. Was ich richtig gut finde: Wir hatten damals auch schon tolle Fans, aber die Fanszene hat sich noch mal enorm entwickelt, das hat man im letz ten Jahr an den ganzen Aktionen zum 20-jährigen Bundesliga-Jubiläum gemerkt, da wurden viele Fans aktiviert, der Fan- Film wurde gemacht, der richtig super geworden ist. Das ist alles schon sehr gut und wird vielleicht noch besser, wenn es sportlich wieder erfolgreicher läuft und der Verein wieder da ist, wo er hinwill.

Arnold: Stimmt, in den letz ten Jahren sind alle enger zusammengerückt, speziell auch Mannschaft und Fanszene. Das ist ein schönes Gefühl, wenn man sieht, was hier passiert ist.

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Präger: Und du bist für alle nur der „Maxi”, ist das eigentlich okay?

Arnold: Das werde ich nicht mehr ändern. Aber ich bin ja keine 16 mehr. Wenn man Maxi hört, denkt man ja immer, da kommt der kleine Knirps. Dabei mache ich schon extra regelmäßig Krafttraining (lacht). Und meine Eltern haben sich ja was dabei gedacht, als sie mich Maximilian genannt haben.

Präger: Dann ist es doch okay, dass man mal darüber spricht. Das gehört doch auch zur Persönlichkeitsentwicklung. Mich haben sie früher „Rocky“ genannt, da habe ich dann auch irgendwann gesagt: Jetzt ist aber gut.

Arnold: Du darfst weiter Maxi sagen. Präger: Nee, ich sage jetzt auch Maximilian. Du bist ja wirklich kein Nachwuchsspieler mehr.