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City Magazin Wolfsburg

Den Menschen ein Zuhause schenken, so Irina Helm von der Wolfsburger Wohnungsgesellschaft Neuland

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© Roland Hermstein

Seit Anfang des Jahres ist Irina Helm die zweite Geschäftsführerin der traditionsreichen Wolfsburger Wohnungsgesellschaft Neuland. Im Interview spricht sie über das Leben in Wolfsburg, über veränderte Ansprüche der Menschen an ihre Wohnungen und wagt einen Blick in die Zukunft.Frau Helm, wie und wann sind Sie zur Neuland gekommen?IRINA HELM: Ich habe mit knapp 17 Jahren mein Schulpraktikum bei der Neuland gemacht. Nach diesen zwei Wochen wusste ich: Der Unternehmenszweck spricht mich an und das Klima passt. Ich habe mich dann auf einen Ausbildungsplatz als Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft beworben. Beim Vorstellungsgespräch guckte mich die damalige Personalleiterin, Frau Klaus, streng an und fragte, warum ich mich bei der Neuland beworben hätte. Da habe ich gesagt: Sie schenken Menschen ein Zuhause. Wahrscheinlich war das für sie glaubwürdig. Damals habe ich mit meinen Eltern in einer Übergangswohnung gewohnt, in einer Notunterkunft für Spätaussiedler. Wir hatten mit meinen Großeltern und mit meinen Eltern ein Zimmer mit 20 Quadratmetern. Mein Bruder, ich und meine Großeltern schliefen in Stockbetten. Wir waren total dankbar, aber wir haben uns trotzdem nach einem Zuhause gesehnt. Und so hat mir Frau Klaus damals die Chance gegeben und hat gesagt: Ok, dann schenken Sie doch den Menschen ein Zuhause in Wolfsburg! So bin ich im Jahr 1992 bei der Neuland gestartet. Nach meiner Ausbildung habe ich ein duales Studium absolviert und mit dem Bachelor Immobilienmanagement abgeschlossen.

Im Interview: Irina Helm

Was sind Ihre Aufgaben als Geschäftsführerin?

IRINA HELM: Ich verantworte die strategische und operative Bereichsplanung und -steuerung. Das Schöne ist: Ich habe jeden Tag und sehr viel mit Menschen zu tun. Letztendlich geht es immer um eine service- und qualitätsorientierte Kundenbetreuung. Ich sehe mich aber auch als Motor interner Veränderungen. Der Bereich Immobilienmanagement, für den ich als Prokuristin seit 2002 verantwortlich bin, hat sich innerhalb der vergangenen 15 Jahre dreimal verändert. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, am Puls der Zeit zu sein. Ich werde unruhig, wenn ich bemerke, dass sich der Markt, die Menschen und mit ihnen die Ansprüche verändern. Dann weiß ich genau: Jetzt müssen wir uns auch verändern. Am liebsten sogar schon vorher.

Welche Aufgaben sind für Sie neu dazugekommen, als Sie Geschäftsführerin wurden?

IRINA HELM: Gemeinsam mit meinem Kollegen, Hans-Dieter Brand, arbeite ich daran, dem Zielkonflikt zwischen wirtschaftlicher Kraft, den Erwartungen der Gesellschafter und der sozialen Verantwortung den Menschen in Wolfsburg und den Mitarbeitenden im Unternehmen gerecht zu werden. Praktisch gesagt könnten wir zwar heute die Mieten erhöhen und würden dann wahrscheinlich die nächsten Jahre gut auskommen. Aber auf der anderen Seite geht es ja auch um Menschen und um die soziale Verantwortung. Neu ist für mich auch Gremienarbeit, also ich werde jetzt viel mehr und intensiver mit dem Aufsichtsrat zusammenarbeiten.

Welchen Teil Ihrer Arbeit mögen Sie besonders gern?

IRINA HELM: Ich arbeite sehr gern mit Menschen zusammen und egal ob das jetzt Kunden oder Neuländer sind: Ich hab ganz, ganz viel Freude daran, Potenziale zu heben. Mich freut immer besonders, wenn Menschen sich entwickeln und wachsen. Sehr viel Spaß macht mir auch zu schauen, was in den nächsten Jahren notwendig ist, und entsprechende Veränderungen anzustoßen.

Was hat Sie nach Wolfsburg geführt?

IRINA HELM: Ich bin mit 16 Jahren mit meinen Eltern und meinen Großeltern aus Kasachstan nach Wolfsburg gekommen. Grund war die Familienzusammenführung. Ein Teil der Familie lebte in Deutschland und der große Wunsch meiner Oma war – das weiß ich wie heute – als große Familie an einem Tisch zu sitzen. Alle sollten zusammen sein und ihre Kinder und Enkelkinder sollten als Deutschstämmige mit der deutschen Sprache aufwachsen. Das ist gelungen. Es sind leider nicht mehr alle am Leben, aber es gab wirklich tolle Familienfeiern mit allen an einem Tisch, so wie die Oma sich das gewünscht hat.

Wie würden Sie Wohnen in Wolfsburg generell beschreiben?

IRINA HELM: Wir haben in Wolfsburg 16 wunderschöne Ortschaften und 40 einzigartige Stadtteile. Ich bin viel unterwegs als Joggerin oder mit meinem Tretroller und bin jedes Mal erstaunt, wie viele grüne Oasen es in allen Stadtteilen gibt. Ich mag zum Beispiel auch die Stadtmitte, die nach dem Prinzip der Gartenstadt gebaut wurde und wo alle Siedlungsbauten kleine Gärten und Gemeinschaftsecken haben. Wolfsburg ist eine Stadt der kurzen Wege und hat eine tolle Infrastruktur. Ich finde, unsere Stadt ist pulsierend, dynamisch, bunt und hält attraktive Freizeitangebote vor.

Den Menschen ein Zuhause schenken, so Irina Helm von der Wolfsburger Wohnungsgesellschaft Neuland-2
© Roland Hermstein

Wer ist in Ihren Augen dafür verantwortlich, dass Wolfsburg eine lebenswerte Stadt ist?

IRINA HELM: Es sind die besonderen Verhältnisse und die Menschen: Die Symbiose aus Volkswagenwerk, Stadt und der Wolfsburg AG ist einmalig. Gemeinsam haben die Akteure echte Lebensqualität in Wolfsburg geschaffen. Und die Menschen hier sind – finde ich – sehr offen, sie empfangen auch fremde Menschen tolerant. Das habe ich persönlich erfahren. Ich glaube, diese Willkommenskultur ist eine Besonderheit. Außerdem engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich und machen gemeinsam für Wolfsburg viel möglich.

Wie ändern sich die Ansprüche der Mieter an eine Wohnung mit der Zeit und speziell jetzt während der Corona-Pandemie?

IRINA HELM: Es gab eine Zeit, da hat sich alleine der Wohnflächenverbrauch verändert. Im Jahr 1950 hat eine Person 15 Quadratmeter Wohnfläche beansprucht. Eine vier-köpfige Familie lebte in einer 50-Quadratmeter-Wohnung. Heute beansprucht eine Person alleine 47 Quadratmeter, Tendenz steigend. Aber wir werden auch individueller, mit und ohne Corona. Jeder hat seinen Lebensstil, und dadurch entstehen natürlich auch unterschiedliche Bedürfnisse. Der eine möchte gerne eine tolle Nachbarschaft und sich einbringen, der andere möchte lieber für sich bleiben. Das wird es zwar immer geben, aber die Pandemie hat noch mal gezeigt, dass das Zuhause ein ganz wertvolles Gut ist. Das Zuhause kann Schutzort, Arbeitsort und Spielort sein. Die Wohnung erfährt in diesen Zeiten einen gewissen Bedeutungszuwachs.

Wir haben erfahren, dass die Menschen jetzt noch mehr Wert auf ihr Zuhause legen. Wir haben viele Anträge bekommen zur Verschönerung der Wohnung. Es gab Rückfragen zu Schallschutz, zu neuen Wohnungsausstattungen und Außenanlagen und zur Verstärkung des WLAN. In der aktuellen Situation erlebt man seine Wohnung mit anderen Augen. Arbeiten und Wohnen verschmelzen immer mehr, Spielort und Wohnort auch. Für uns ist es jetzt auch wichtig zu schauen, was wir aus dieser Zeit lernen können.

Können Sie infolge der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen neue Trends erkennen?

IRINA HELM: Es gibt eine Rückbesinnung auf Familie und Nachbarschaft – so viel kann man bereits jetzt sagen. Man sucht jetzt den Kontakt. Wir erleben, dass Räume, die wir zur Verfügung stellen, für unterschiedliche Zwecke genutzt werden. Wohnen und Arbeiten ist selbstverständlich in einer Wohnung. Da haben wir über unser künftiges Angebot nachzudenken. Vielleicht werden wir in einem Wohngebäude die Möglichkeit schaffen, einen Arbeitsort zu buchen. Auch der Wert des nahe liegenden Spielplatzes war sehr zu spüren. Der Begegnungsdrang wird definitiv steigen und dem werden wir Rechnung tragen müssen mit unseren Gemeinschaftsplätzen, mit den Außenanlagen.

Aber wir bemerken auch einen anderen Trend: Auf der einen Seite steigt der Wohnflächenverbrauch, aber auf der anderen Seite wird funktionaler, schöner und günstiger Wohnraum auch weiterhin nachgefragt. Es wird nicht immer so sein, dass alleinstehende Personen auch wirklich 50 Quadratmeter beanspruchen können. Unsere Aufgabe wird sein, qualitativ wertvollen und funktionalen Wohnraum zu einem angemessenen Preis anzubieten.

Bieten Sie innovative Wohnkonzepte an?

IRINA HELM: Ja. Dazu zählen beispielsweise Clusterwohnungen. Der ursprüngliche Gedanke war, Menschen ein Zuhause zu geben, die einerseits ihre Privatsphäre schätzen und andererseits die Gemeinschaft suchen. Das sind nicht immer nur Studenten, die beispielsweise WG-Wohnen bevorzugen. Das können auch Menschen sein, die mit 60 oder 70 nicht mehr in ihrem Haus mit Garten leben wollen. Man hat innerhalb einer Gemeinschaft fünf kleine Wohnungen mit einer kleinen Küche und einem Duschbad. Diese Wohnungen werden mit einem Anteil an einer Gemeinschaftsfläche vermietet. Dazu gehören eine große Wohnküche, ein großes Esszimmer und ein gemeinsamer Flur. Ich kann also je nach Lust und Laune Gemeinschaft teilen oder mich zurückziehen. Eine von zwei Clusterwohnungen ist bereits vermietet, die andere sucht noch Bewohner. Die Anfragen reichen von Studenten über pendelnde VW-Mitarbeiter bis hin zu Senioren. Die Herausforderung ist jetzt, die Menschen so zusammenzubringen, dass sich jeder wohlfühlt.

Wie wohnt man in Wolfsburg im Jahr 2030? Was werden die Themen in neun Jahren sein?

IRINA HELM: Unser Ziel für die nächsten Jahre ist, uns noch mehr um funktionierende Quartiere zu kümmern. Dafür brauchen wir Organisationsmodelle mit Partnern, die vor Ort das Quartier beleben. Wir werden noch mehr schauen, dass sich die Menschen sinnstiftend einbringen können, vielleicht auch selbstwirksam. Die Herausforderung für uns wird sein herauszufinden, an welchen Stellen das in welcher Form funktioniert. Außerdem werden wir uns noch mehr mit den Bedürfnissen der Mieter befassen müssen. Wenn wir durch Modernisieren Neubauqualität erreichen, hat das natürlich einen entsprechenden Preis. Doch auch gute Qualität zu einem etwas günstigeren Preis ist gefragt. Und letztendlich brauchen wir gute Mobilitätskonzepte vor Ort. Den Grundstein haben wir jetzt bei Kurt 2.0 gelegt, damit werden wir unsere Erfahrungen machen.

Was sind Ihre konkreten Pläne bis 2030?

IRINA HELM: Wir arbeiten an der Zukunftsfähigkeit unserer Konzepte, erarbeiten Quartierstrategien und finden Partner, die sich mit uns um das Quartier kümmern. Außerdem haben wir uns vorgenommen, noch verlässlicher zu kommunizieren. Die Kunden wollen wissen, was wann und in welchem Umfang passiert. Welche Informationskanäle wir öffnen, ob das eine Mieter-App ist oder eine Webanwendung, das wissen wir noch nicht. Aber die Menschen von morgen haben einfach noch einmal einen anderen Anspruch an uns.

Haben Sie eine Idee, wie man in der Stadt im Jahr 2050 leben wird?

IRINA HELM: Diese Frage habe ich gestern meiner elf-jährigen Tochter gestellt. Sie hat von fliegenden Taxis gesprochen, von sprechenden Kühlschränken und von Plastikblumen, die Licht und Sauerstoff spenden. Ich glaube tatsächlich, wir werden noch viel mehr mit Solarenergie arbeiten und mit Dachbepflanzungen. Ich stelle mir vor, dass wir in vernetzten, energieeffizienten und bedarfsoptimierten Hochhäusern leben. Dort können wir die Infrastruktur noch besser zur Verfügung stellen. Wir werden smarte Wohnungen haben und Haushaltsroboter, die wie die Heinzelmännchen die Wohnung auf Vordermann bringen, während wir nicht da sind. Es ist auch vorstellbar, dass Telemedizin Standard wird. Vielleicht gibt es auch schon intelligente Betten, die feststellen, wie der Puls und der Herzschlag sind, und die Werte gegebenenfalls an den Arzt senden. Zum Einkaufen wird es möglicherweise Drohnen geben und autonomes Fahren wird selbstverständlich sein. Unsere große Herausforderung als Wohnungsunternehmen wird sein, als Problemlöser alles zu organisieren und zur Verfügung zu stellen. Wir werden wachsen mit der Veränderung und agieren statt reagieren.

Stichwort „Alt werden in Wolfsburg“ – welche Wohnformen können Sie Senioren empfehlen?

IRINA HELM: Ich denke, jeder Mensch muss die Entscheidung, wie er im Alter leben möchte, selbst treffen. Es gibt Senioren, die bei ihrer Familie bleiben wollen. Andere möchten gern in einer Seniorenwohnanlage wohnen. Und der nächste will vielleicht in einem ganz bunten Viertel, aber in seiner eigenen Wohnung leben. Oft habe ich aber erlebt, dass diese Entscheidung nicht selbstbestimmt getroffen wurde. Da haben Menschen ihr Zuhause verloren, weil jemand anders es entschieden hat. Sie haben sich nicht rechtzeitig darum gekümmert, sie haben sich nicht die Frage gestellt, wie sie später wohnen möchten. Ich kann jedem nur empfehlen, sich frühzeitig und vor allem selbstbestimmt Gedanken zu machen.

Welche Angebote halten Sie speziell für Senioren vor?

IRINA HELM: Unsere Seniorenwohnanlage in der Gothaer Straße stammt aus den 1980er-Jahren. Dort fühlen sich die Bewohner sehr, sehr wohl. Auch mit der Wohnsinn-Gemeinschaft in der Neuen Burg haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Eine wichtige Erkenntnis für uns ist, dass ältere Menschen vor Ort eine gewisse Infrastruktur brauchen. Das kann zum Beispiel wie in der Neuen Burg der Bäcker sein, das kann ein Mittagstisch sein, das können andere Serviceleistungen sein, die man in Anspruch nehmen kann. Wenn ich weiß, dass meine Bedürfnisse jederzeit befriedigt werden können, dann passt es. Wir haben mindestens ein Projekt in Planung, für das wir uns Gedanken machen, wie wir den Menschen vor Ort mehr Service anbieten können. Die Idee ist, den Standardservice auszuweiten. Zusätzlich wollen wir die Bewohner aus einem bunten Strauß die Serviceleistungen, die sie brauchen, auswählen lassen. (bea)