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City Magazin Wolfsburg Herbst 2021

Vom Wandel in der Räderwelt: Interview mit den Wolfsburgern Annemarie Korn und Georg von Cramer

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Foto: Roland Hermstein

Ein sonniger Vormittag im August: Vor dem Laden Zweirad Schael in Wolfsburg berät ein Mitarbeiter Kunden zu einem cremefarbenen E-Bike mit Gepäckträger vorne. Räder mit Elektroantrieb zählen zu den wichtigsten Trends in der Firmengeschichte des Zweiradhändlers, der sein erstes Geschäft vor 90 Jahren in Gladbeck eröffnete und vor 70 Jahren nach Wolfsburg umsiedelte. Ein Gespräch mit Annemarie Korn und Georg von Cramer, die hier schon ihre Ausbildung absolvierten und seit 2014 gemeinsam die Geschäfte führen, über die Liebe zum Zweirad und was sich im Laufe der Jahrzehnte alles geändert hat.

90 Jahre Zweirad Schael

Wie hat alles begonnen?

VON CRAMER: Im Juli 1931 hat Fritz Schael in Gladbeck in Westfalen das Gewerbe gegründet und ist in den 1940ern im Zuge der Stadtgründung von Wolfsburg, damals noch „Stadt des KdF-Wagens“, angeworben worden. Margit Hahn-Schael, die Tochter des Firmengründers, hat das Geschäft dann mit ihrem Mann noch Jahrzehnte weitergeführt. Sie wohnt auch noch hier, direkt nebenan.

Wie hat sich das Sortiment seither verändert?

VON CRAMER: In Anfangstagen gehörten neben Fahrrädern auch Nähmaschinen und Kinderwagen zum klassischen Sortiment eines Fahrradhändlers, auch bei Schael. Hier in Wolfsburg wurden später auch Automobile verkauft, das Goggomobil zum Beispiel, der NSU Prinz und solche Geschichten, und bis Mitte der 1990er Jahre auch Mopeds, Motorroller und Motorräder. Anfang der 90er Jahre wurde das Mountainbike sehr populär. Das hat einen regelrechten Boom ausgelöst und in Folge viele technische Innovationen für den gesamten Fahrradmarkt hervorgebracht.

Und Motorräder wurden aus dem Sortiment verbannt?

VON CRAMER
: Der Motorradmarkt stagnierte seinerzeit und war auch einfach nicht mehr sonderlich rentabel. Und er wurde für die Händler immer komplizierter. Da wurden die ersten ABS-Systeme eingeführt und elektronische Einspritzanlagen. Vieles wurde aus damaliger Sicht hoch komplex. Fahrräder und Motorräder zugleich anzubieten war dann irgendwann nicht mehr sinnvoll. Wir haben uns dann ausschließlich auf den Fahrradmarkt konzentriert. Alles hat seine Zeit und das ist, glaube ich, typisch für die Firma Schael, dass wir uns immer wieder neu den Gegebenheiten anpassen. Aber das Fahrrad zieht sich wie ein roter Faden durch.

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Foto: Roland Hermstein
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Das Angebot: stets auf der Höhe der Zeit. Foto: Zweirad Schael
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Zeit für die Kundschaft: Beratung ist Trumpf.

Fahren Sie selber viel Fahrrad?

VON CRAMER:
Ja, vor allem, um zu pendeln. Wenn das Wetter stimmt, der Tag erwacht und auf den Wiesen noch Nebelschwaden liegen. Sich an der frischen Luft bewegen, das ist doch etwas Herrliches. Und da kann man eigentlich dankbar sein, dass wir nicht mit grünen Bohnen oder mit Vorhängen handeln, sondern mit so einem interessanten Produkt wie dem Fahrrad.

Welches Fahrrad fahren Sie: Klassisches Rad oder E-Bike?

VON CRAMER:
Ganz klar E-Bike. Also wer einmal E-Bike gefahren ist, der möchte nichts anderes mehr fahren, der ist eigentlich für den Rest seines Lebens sozusagen verdorben.

KORN:
Ich nutze beides, das E-Bike vor allem für den Weg zur Arbeit. Wenn wir aber im Urlaub sind, dann haben wir die normalen Fahrräder dabei. Weil dann möchte ich auch mal ins Schwitzen kommen. Das gehört für mich einfach noch dazu.

Wie hat sich die Nachfrage in der Pandemie entwickelt?


VON CRAMER: Sie ist extrem gestiegen, so wie noch nie zuvor. Für unserer Branche ist das einerseits ein Segen, aber es birgt auch Probleme: Der Nachschub stockt enorm. Die Industrie ist nahezu ausverkauft. Viele Modelle sind jetzt einfach vergriffen, zum Teil schon bis 2022. Von der Industrie zugesagte Liefertermine verschieben sich laufend, auch wegen logistischer Probleme. Der Nachschub stockt nicht nur wegen allgemeiner Rohstoffknappheit und Produktionsausfällen in der Zulieferindustrie, sondern darüber hinaus auch auf den Transportwegen.

KORN: Das Problem besteht aber weltweit. Der Markt ist einfach leer gefegt. Selbst über den Winter wurde viel verkauft, was sonst eher ungewöhnlich war. Wenn man sich als Kunde auf ein bestimmtes Modell festgelegt hat, ist das ein Problem. Also wir haben immer Fahrräder da, dafür sorgen wir, aber das absolute Wunschrad könnte mitunter schwierig sein.

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Idee mit Zukunft: Gründer Fritz Schael.
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Chefin und Chef: Ehepaar Hahn-Schael.
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Das Team 1966. Mitte: Mechanikerlegende Hermann Becker. Fotos: Zweirad Schae

Welche Trends verzeichnen Sie aktuell?

VON CRAMER: Noch immer das E-Bike. Auf jeden Fall. Da sind wir immer wieder erstaunt, mit welcher Dynamik das vorangeht. Und längst legen sich auch viele Leute um die 20 Jahre ein E-Bike zu, zum Beispiel um nicht verschwitzt bei der Arbeit anzukommen oder um damit im Harz rumzutoben.

KORN: Der Altersdurchschnitt der Kundschaft für E-Bikes ist stark gesunken. Das Alte-Leute-Image ist im Grunde weg. Das E-Bike ist mittlerweile auch im Mountainbike- und sogar im Rennradbereich angekommen.

VON CRAMER: Es gibt sogar E-Bikes für Jugendliche. Das macht auch Sinn, zum Beispiel für Familientouren, wenn die Eltern auch mit elektronischer Unterstützung fahren. Das ist noch ein Trend vor allem im süddeutschen Raum, aber der wird vermutlich auch hier noch kommen. Was den E-Bike-Trend auch noch weiter fördert, ist, dass manche Unternehmen ihren Mitarbeitenden ein Leasing für ein Fahrrad oder ein E-Bike anbieten. Das ist ein zusätzlicher Beschleuniger. Jemand, der sich vorher vielleicht ein Fahrrad für 700, 800 Euro gekauft hätte, entscheidet sich über diesen Weg auch gerne mal für ein E-Bike im Wert von 3000, 4000 Euro.

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Wie hat sich die Werkstatt auf den Trend zu mehr Elektronik am Zweirad eingestellt?

VON CRAMER: Die Werkstatt hat heute auch die entsprechenden Diagnose geräte zur Fehlersuche und die Mitarbeiter werden entsprechend geschult.

KORN: Es wird alles digitaler. Man braucht viele Computerkenntnisse, um zum Beispiel Updates aufzuspielen. Der Beruf heißt heute nicht umsonst Zweiradmechatroniker. Die Ausbildung hat einen hohen elektrotechnischen Anteil.

Sie bilden auch selber aus. Haben Sie Nachwuchssorgen?

VON CRAMER: Ja klar, wie viele Handwerksbetriebe. Jeder will in die Industrie, jeder will studieren, da haben auch wir Probleme, geeigneten Nachwuchs zu finden.

KORN: Ja, das stimmt. Aber für uns ist es schwer verständlich, weil: Wir lieben das Thema Fahrrad und E-Bikes. Es steht für Bewegung an der frischen Luft, für Klimaschutz und vieles mehr. Für Dinge, die in Zukunft immer wichtiger werden.

VON CRAMER: Man kann es den jungen Menschen nur ans Herz legen: Es gibt kaum eine Branche, die zukunftsträchtiger ist als unsere. Also egal, was man in zehn, 20 Jahren machen will, es werden einem viele Wege geöffnet, auch zum Beispiel in die Industrie. Es ist einfach ein so spannendes Thema. Also ich kann nur empfehlen: Wer ein bisschen was auf dem Kasten hat, der oder die soll sich melden und kann bei uns und über uns auch richtig Karriere machen. (aho)